Ernst Krenek: Zu Beethovens Streichquartetten

Abstract

Ernst Krenek beschreibt in dem kurzen Vortrag den Wandel der Bedeutung von Beethovens Streichquartetten in der Entwicklung von Kreneks eigenem Schaffen. Die in mehreren der letzten Quartette Beethovens verwendete, am BACH-Motiv angelehnte Viertonfolge bildet für Krenek eine kompositorische Vision, die sich über Wagners Tristan-Thema zu Schönbergs Dodekaphonie entwickeln sollte. Erst ab den 1950er Jahren, mit Kreneks Adaption des Serialismus und dessen „ideell totaler Vorherbestimmung“ traten Beethovens Streichquartette und generell die „klassische Logik emotionell motivierter Klangstrukturen“ in den Hintergrund.

    für WDR Aug 1977

    Beethovens Streichquartette haben mich auf längeren Wegstrecken meiner kompositorischen Laufbahn immer wieder begleitet und für auf manche ihrer Wendungen entscheidende Bedeutung gewonnen, vom spielerisch - graziösen G-dur Quartett aus opus 18, das ich in dem Kurs für Partiturspiel, den ich bei meinem Eintritt in die Staatsakademie in Wien als Nebenfach zu belegen hatte, auf dem Klavier zusammenzustottern begann bis zu dem herz- bewegenden opus 135, dessen Adagio ich bei der Trauerfeier für Karl Kraus im November 1936 vom Kolisch Quartett spielen ließ.

    Als ich mich in der atonalen Tonsprache auszudrücken begann, konnte ich die Zone der aphoristischen Kürze, die meine Vor- gänger bei ihrem Vordringen in dieses unerforschte Gebiet haben passieren müssen, hinter mich bringen ohne mich darin aufzuhalten und mich alsbald mit den Problemen der Großform auseinandersetzen. Dabei konzentrierte sich meine Aufmerksamkeit vor allem auf Beethovens Cis-moll Quartett opus 131, da in diesem Werk das ganze Repertorium des Sonaten- Zyklus in einem zusammenhängenden Ablauf mit Übergangs- und Einleitungspassagen integriert wird. Dieses Formkonzept war das Modell nicht nur für mein erstes Streichquartett opus 6 von 1921 und die kurz darauf entstandene erste Symphonie, sondern auch für mein drittes, sechstes und siebentes Quartett.

    1'50'' Als ich mich später der Zwölftontechnik zuwandte, wurde mir die Bedeutung eines kompositorischen Details klar, das mir schon früher aufgefallen war. Es erscheint in drei der letzten Quartette und spielt im A moll Quartett opus 132 eine wichtige, im Cis moll opus 131 und in der Großen Fuge opus 133 eine ent- scheidende Rolle, nämlich das aus zwei Halbtonschritten be- stehende Viertonmotiv. Hier hat Beethoven mit einem musi- kalischen Atomkern gearbeitet, mit einer Grundgestalt, eine Vision, die erst hundert Jahre später in der Zwölftonreihe Wirklichkeit werden und zum beherrschenden Prinzip eines Musikstils sich ent- wickeln sollte. Ich erblickte in der BACH Chiffre das ein Vorbild der Beethovenschen Grundgestalt und in dem der viertönigen Chromatik des Tristanthemas ein Zwischenglied in der historischen Ent- wicklung zu Schönbergs Dodekaphonie. Als ich 1950 vom italie- nischen Radio um einen Beitrag zur zweihundertjährigen zum Gedachtnisfeier von Johann Sebastian Bachs zweihundert Tod gebeten wurde, versuchte ich diese Zusammenhänge in einem Streichtrio darzustellen, unter dem Titel Parvula Corona Musicalis in honorem Johannis Sebastiani Bach.

    3'30'' 2

    Eingesprengt in das dichte, vielfach verschlüsselte Gefüge der letzten Quartette sind ein paar vereinzelte, naive Phrasen von verblüffender Einfachheit, wie die beiden der sorglosen Viertakter vor dem Ende des Finales opus 135, und der andere, das übermütige Pfeifliedchen im Trio des Scherzos von im Cis moll Quartett, das wie ein Kinderreim klingt. Es ist, als wollte Beethoven mit ungewohnter Schalkhaftigkeit uns andeuten, daß das alles gar nicht so wichtig ist. In der Tat, als ich mich in den fünfziger Jahren mit dem Serialismus auseinanderzusetzen begann, traten die Beethoven Quartette in meinem Bewusstsein in den Hintergrund – freilich nicht etwa, weil die Musik sich der Simplizität jener Viertakter angenähert hatte. Im Gegenteil, sie wurde so schwarz und ernst wie nur etwas, aber ihre Gestaltungsprinzipien haben nichts mehr mit den in jenen Quartetten so großartig ausein - andergelegten Formproblemen zu tun. Die ideell totale Vorherbestimmung des seriellen Organismus mit ihrer unabwendbaren Ausmündung in den unberechenbaren Zufall konnte in der klassischen Logik emotionell motivierter Klangstrukturen keine Modelle mehr erblicken. Was uns jedoch erhalten bleiben sollte und durch weitere Befassung mit Beethovens Quartetten gefördert werden könnte, ist ein Gefühl für die Dignität des Komponierens als einer Manifestation der einfachen Menschenwürde.

    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    Ernst Krenek: Zu Beethovens Streichquartetten

    Untertitel

    [Vortrag für eine Radiosendung des WDR]

    Vortragsdatum

    1977-08

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    2

    Signatur

    LM-197-01

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Musiktheorie, Instrumentale Kammermusik, Serielle Musik, Zwölftontechnik
    Back to Top