for Berlin RIAS, für T. L. Langner

Abstract

Für die Programmzeitschrift (1970/71) des „Radios im amerikanischen Sektor“ (RIAS) in Berlin wirft Ernst Krenek einen durchaus persönlich gefärbten Blick auf die Strömungen der Neuesten Musik. Kritisch kommentiert er den überzogenen Innovationsdruck an, der neueren handwerklichen Entwicklungen (wie dem Serialismus) zu wenig Zeit zu einer vertiefenden künstlerischen Auseinandersetzung gab, und die neuesten Trends, die aus Sicht Kreneks, hinter den komplexen Ansprüchen des Serialismus zurückblieben und das „Interesse des Hörers schnell erlahmen lassen“.

    for Berlin RIAS für T. L. Langner

    Meine ersten musikalischen Alterserscheinungen wurden um das Jahr 1955 festgestellt. Anstatt "fest und treu" bei dem Stil zu bleiben, auf den man mich trotz meiner schon früher gerügten Stilwandlungen endlich festlegen zu können meinte, begann ich mich mit dem elektroni- schen Medium und der seriellen Kompositionsmethode zu beschäf- tigen. Im elektronischen Bereich war meine Interesse zunächst willkommen, da dieses Gebiet zunächst noch a als Möglichkeit musikalischen Ausdrucks noch äußerst verdächtig war, so daß man hoffen konnte, es werde durch die Teilnahme eines Autors der sich im traditionellen Bezirk immerhis einen gewissen Namen erworben hatte, einigermaßen rehabilitiert werden. Ob dieser Zweck erfüllt wurde oder ob sich die Vorsichtsmaßregel meiner Einbeziehung als überflüssig erwies, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde ich, wenigstens in Europa nie wieder eingeladen, an elektronischen Arbeiten teilzunehmen.

    Meinem Interesse an den Problemen und Verwirklichungen des Serialismus war kaum besserer Dank beschieden. Vielfach wurde mir vorgehalten, daß ich, anstatt in Würde grau zu werden mich unter die Jünglige zu mischen und mit ihnen zu heulen versuche, wahrscheinlich um sie oder das Pablikum über mein kalendermäßiges Alter zu täuschen. Merkwürdigerweise ist solcher Vorwurf gegen den venerablen Igor Stravinsky, nie der sich etwa zur selben Zeit der Zwölftontechnik zuwandte, nie erhoben worden, obschon er selbst zugibt, daß das ohne die Anregungen seines Famulus und der von diesem empfohlenen Studien kaum geschehen wäre. und Seine dodekaphonischen Anordnungen, die werden in der Fachpresse unermüdlich analysiert, obwohl sie über schon früher bekannte Prozedur kaum hinausgehen und die serielle Disziplinierung des Parameters der Zeit nicht wenig betreffen. Fast zwanzig Jahre älter als ich, ist er nicht dem Vorwurf ausgesetzt, ein "Nachläufer" der Jugend zu sein.

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    Ob, und welchen, persönlichen Hintergründen solche Diskiminierung zu- geschrieben werden kann, will ich gar nicht untersuchen. Er schein Wie dem auch sei, so Im Allgemein gesprochen scheint es mir, daß das Ansehen, das ein älterer Komponist im all öffentlichen Bewußtsein genießt, und die Position, die ihm die Fachwelt einzuräumen gewillt ist, vor allem von dem der Dauerhaftigkeit des Erfolgs abhängt, den er mit den Werken seiner mittleren Periode erzielen konnte. Hat er diesen, so sind seine Jugendwerke schmerzlos vergessen, und wendet er sich in seinen Spätwerken, da er sich's ja leisten kann, einer Schrulle zu (wie etwa seriell zu komponieren oder siebensprachige Texte zu vertonen), so kümmert man sich um diese Produkte einfach nicht, nur sporadisch, sich aber im allgemeinen respektvoll und mit der Nachsicht, die dem ausgedienten Vorläufer gebührt.

    Eine andere, unserem Zeitalter eigentümliche Sachlage ist vielleicht von größerer Bedeutung. In früheren Perioden wurde das Bestreben, einen Stil, der sich auf Grund der Bemühungen von erfindungsreichen Neuerern entwickelt hatte, fortzubilden und zu perfektionieren, positiv bewertet, und Bestrebungen dieser Art galten als verdienstvoll. Noch zu Mozarts Zeit waren Es gab Zeiten, wo die die Connaisseurs mit dem etablierten Stil so vertraut, daß sie selbst gering scheinende Abweichungen sofort gewahrten und je nach Geschmack unwillig ablehntenen oder genießerisch begrüßtenen konnten. Daran ist heute kaum zu denken. Zunächst ist das musikalische Vokabular seit dem Aufkommen der Atonalität so bereichert worden, daß jede denkbare Kombination der zur Verfügung stehenden Töne als Träger von Information dienen kann; Da alles als normal sich darstellt, In Folge dessen sind sind Abweichungen von einer Norm nicht wahrnehmbar. Um also jene interessierte Teilnahme des Empfängers auszulösen, die früher von solchen Abweichungen bewirkt wurde ausging, muß zusehends zu stets drastischeren Schockeffekten oder überraschenden technischen Tricks gegriffen werden. Es liegt jedoch in deren Natur solcher Mittel, daß sie sich rasch verbrauchen.

    Die Folge davon ist, daß Gestaltungsprinzipien und tech- nische Verfahrensweisen ad acta gelegt werden, kaum daß sie entdeckt wurden und ohne daß ihre ästhetische Trag- weite und ihre Anwendungsmöglichkeiten voll erfaßt, geschweige denn erschöpft worden wären.

    und wirkliche Sachkenntnis ist auf einige wenige Fachleute beschränkt 3

    Mit der Zwölftontechnik hat man man noch etwas mehr Ge- duld gehabt. Der Kreis ihrer Ausüber war zunächst durch die Weltherrschaft des von Stravinsky in Bewegung gesetzten folklori- stischen Neoklassizismus zahlenmäßig sehr begrenzt. Die System- treue dieser Gruppe war zum Teil ein Ausdruck der Solidarität von Ausgestoßenen, aber auch wohl eine Folge der Autorität des Erfinders, Arnold Schönberg. zu verdanken Diese Autorität hat die Weiterentwicklung der Zwölftontechnik gesichert, aber auch einigermaßen gehemmt, da die in Schönbergs großen Zwölftonwerken die konservativen Aspekte der dodekaphonischen Disziplin stark hervortreten und als beispiel- gebend betrachtet wurden. Dennoch zeigen sich sind bei Webern, und aber auch bei anderen die ersten Anzeichen einer Ausweitung des Reihenprinzips zum Serialismus im Rückblick deutlich zu beobachten. Leider hat sich die Fachliteratur mit solchen Rückblicken auf die Vorläuter außer Webern nicht sehr beschaftigt, sondern eher die Verdrängung des Neuen durch das Neuere gefordert. Ein Musikfest, bei dem kein "Durchbruch", keine "neue Front" zu re- gistrieren ist, wird als Enttäuschung abgetan. Kein Wunder, daß jüngere Leute nervös werden. Freilich, um "durchzubrechen", muß man das zu Überwindende erst beherrschen, d.h. gelernt haben. Zu lernen gibt es allerdings nicht mehr viel.

    Ich höre, daß man auf der letzten Darmstädter Tagung eine das Ende der "Neuen Musik" beschlossen hat. Ich weiß nicht, ob man auch beschlossen hat, was danach kommt. Vielleicht das Zeitalter der Un-Musik? Dem kann man ohne Schrecken entgegenschen. An Lärm sind wir gewöhnt. Viele der jüngsten Pojekte sind jedoch nicht so sehr beunruhigend durch ihre radikale Kühnheit als weil sie im Vergleich zu den Anstren- gungen des Serialismus primitiv anmuten und das Interesse des Hörers schnell erlahmen lassen. Oft scheint es, daß sie, wie ein Gesellschaftspiel, den Ausführenden einen gewissen Spaß machen mögen, der sich jedoch den Zuhörern nicht mitteilt.

    Überraschend ist, wie leicht der Komponist sich seiner Ver- antwortung begeben hat, und sich mit der Rolle eines Monteurs und Manipulators mechanischer Tricks zufrieden gibt stellt. Als ich das merkte, da bin ich zunächst einmal lieber stehen geblieben, zumindest bis diese Phase vorüber ist. Bei dem Wenn das jetzige Tempo anhält, dürfte es kaum lang dauern.

    deklarieren sich als Bestandteil der um sich greifenden Anti-Kunst Tendenz, mit deren Bestrebungen man durchaus sympathisteren kann. Ihre Ergebnise

    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    for Berlin RIAS, für T. L. Langner

    Untertitel

    [Vortrag für eine Radiosendung des RIAS]

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    3

    Signatur

    LM-177

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Neue Musik, Serielle Musik, Elektronische Musik
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