[Vortrag für eine Radiosendung des SWF über Ernst Kreneks frühe Kompositionen: die erste Klaviersonate und die ersten Lieder]

Abstract

Für eine Radiosendung im SWF 1965 wirft Ernst Krenek einen Blick auf zwei seiner frühesten Werke, anhand derer sich seine kompositorische Entwicklung der Jahre 1919 bis 1922 gut nachvollziehen lässt. Die noch während seines Studiums bei Franz Schreker an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst komponierte, von spät-romantischen Klängen getragene 1. Klaviersonate, op. 2 zeigt gerade die Einflüsse, die Schreker in seinem Unterricht vermittelte. Als Krenek 1920 Franz Schreker nach Berlin folgte, war er neuen, sehr progressiven Einflüssen ausgesetzt und er setzte diese sehr rasch um. Das Lied „Im Spiegel“ mit seiner kargen, kontrapunktischen Klangpallette und jähen Dissonanzen ist Beispiel für diese dramatische Weiterentwicklung des jungen Komponisten.

    Ein Der zeitliche Längsschnitt, durch ein meinem so wie den ich hier an meinem musikalischen Lebenswerk eigenen vornehme, fördert eine fast verwirrende Fülle von Objekten an den Tag. Man wird wenige Hohl- räume entdecken, denn ich habe in fünfzig Jahren fast unentwegt Musik geschrieben, selbst wenn ich mich gleichzeitig mit literarischen Projekten befaßte, was sehr häufig der Fall war. Betrachter, die an meinen Arbeiten etwas auszusetzen hatten, fanden oft, daß ihre Unzu- länglichkeit darauf zurückzuführen sei, daß ich zu viel oder zu schnell schreibe. Ich stimme damit durchaus überein, indem ich manches von dem Material, das ich in diesem Längs- schnitt sichte, wenig beachtenswert finde. Es scheint logisch daraus zu folgern, daß es besser gewesen wäre, solche Stücke ungeschrieben zu lassen. und die daran vergeudete Energie Zur auf die weiteren Verbesserung der vertvolleren Objekte zu verwenden. Der Haushalt des schöpferischen

    For SWF 1965

    Ingeniums funktioniert jedoch nicht in so primitiv rationellen Formeln. Man kann sich vorstellen, daß es in gewissen Situationen vielleicht nötig war, den Zugang zu einer wirklich wertversprechenden Anstrengung dadurch zu erschließen, daß weniger bedeutendes Gedankengut aus dem Weg geräumt wurde, indem man es gestaltend zu Papier brachte. Oft ist ein Werk, das sich nachher als weniger gelungen erweist, als unbewußte Vorstudie in einer ihm folgenden wichtigen Arbeit zu erkennen.

    Vor allem aber ist das Tempo der schöpfe- rischen Tatigkeit eine Frage des indivi- duellen Temperaments. Es ist unwahr- scheinlich, daß ein Künstler, dessen Natur ihn zu flottem, kontinuierlichen Produ- zieren anhält, bessere Resultate erzielen würde, wenn er sich disziplinieren würde.

    zu einer langsamen und von größeren Pausen unter- brochenen Arbeitsweise

    Der Kompositionsunterricht, den mir Franz Schreker von 1916 bis etwa 1920 zuerst in Wien, dann in Berlin erteilte, entsprach durchaus meinem offenbar naturgegebenen Bedürfnis nach rascher und umfangreicher Produktion. Schreker, der damals noch nicht auf der Höhe seines leider kurz-

    lebigen Ruhmes stand, widmete sich seinen Schülern mit großer Gewissen- haftigkeit und Geduld. Aber wie gründlich und auf präzise. Detail- arbeit dringend er im sogenannten strengen Kontrapunkt war, so beiläufig und nonchalant wurde seine Kritik in den fortgeschrittenen Studien der sogenannten freien Komposition.

    Sein Urteil schien durchaus auf subjektivem Geschmack begründet zu sein, und wenn ihm eine dreiteilige Liedform, oder was eben das Projekt war, nicht gefiel, hatte der Schüler einfach eine andere zu schreiben, und noch eine, und noch eine. Ob das eine sehr gute pädagogische Me- thode war, weiß ich nicht, aber man lernte jedenfalls Musik schreiben, so wie man schließlich auch Tennis spielen lernt, wenn man viel Tennis spielt. Meine 1. Klavier- sonate, die ich mit opus 2 bezeichnete, nach dem ich Nummer 1 an eine Doppelfuge vergeben hatte, die in der Wiener Akademie zu Gehör gebracht worden war, ist ein Ergebnis jener Studien-

    jahre. Man kann darin wahrscheinlich Schreker (und durch ihn Debussy) erkennen, in den Sequenzketten Richard Strauss, und in manchen harmonischen Wen- dungen Richar Max Reger, der uns von Schreker sehr nahe gelegt wurde. Von Schönberg keine Spur, da Schreker damals von ihm Schönbergs atonaler Musik nicht viel mehr hielt als die Grals- hüter der Tradition, die allerdings auch schon Schreker als gefährlichen Narren betrachteten. Hier nun ist . . . . . Sonate op 2 . . . . . .

    Eine kleine Fußnote zur Musik- geschichte: diese Sonate, ein gewiß unbedeutendes Werk eines völlig unbekannten Neunzehnjährigen wurde einzig und allein auf die Empfehlung seines Lehrers sofort wunderschön gestochen und gedruckt. Was immer ich nur an Reputation in den seither verflossenen fünfund- vierzig Jahren erworben haben mag, hat nicht genügt, meine fünfte und sechste Sonate zum Druck zu befördern. Aber das führt zu einer Erörterung von Fragen einer mehr

    allgemeinen Natur, auf die ich die kostbare Zeit, die mir hier zur Ver- fügung steht, um über mich selbst zu reden, nicht verschwenden möchte.

    Kaum zwei Jahre nach der Klaviersonate entstand das Lied "Im Spiegel". Gerd Hans Goering, der das Gedicht schrieb, was ein junger Mensch aus Leipzig, der aus irgend- welchen mir nicht mehr erinner- lichen Gründen in Wien lebte und mit mir dieselbe Gymnasialklasse besuchte. Der leider sehr früh Verstorbene war ein sehr höchst begabter Dichter der expressionistischen Schule. Was mich an dem "Spiegel"-Gedicht fesselte, war die formale Strenge, inspiriert von der Idee des reflektierten Spiegel- bildes. Von den wohligen Pedal- wolken und romantisch-tragischen Akkordwälzungen der Sonate ist nichts geblieben. Ein spindel- dürres Skelett von harten Tonlinien, imitierend in Umkehrung und Ver- größerung, schleicht durch eine kahle Landschaft jäher Dissonanzen und dynamischer Kontraste. Es wird

    fünfzehn und mehr Jahre dauern, bevor ich diesen intuitiv vorgeahnten Stil auf Grund wird tiefgehender Erlebnisse in der Zwölftontechnik wieder entdecken sollte. Lied

    Es war die fortschrittliche und der radikalen Neuerung zugewandte Atmosphäre des intellektuellen Berlin, die in mir die Stilwandlung aus- gelöst hatte, nach dem ich Franz Schreker dorthin gefolgt war, als er zum Direktor der Preussischen Hochschule für Musik ernannt worden war. Ich erkannte alsbald daß er für diese Wendung wenig Verständes hatte und daß ich auf mich selbst angewiesen war.

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    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    [Vortrag für eine Radiosendung des SWF über Ernst Kreneks frühe Kompositionen: die erste Klaviersonate und die ersten Lieder]

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    6

    Signatur

    LM-120

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Hörfunk, Autobiografie
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