In eigener Sache

Abstract

Für eine Radiosendung im Bayerischen Rundfunk 1962 vergleicht Krenek drei seiner an unterschiedlichen Punkten seiner Karriere entstandene Werke: Kleine Symphonie, op. 58 (1928), Adagio und Fuge, op. 78a (1936) und Quaestio Temporis, op. 170 (1959).

Eingebettet in eine analytische Selbstbetrachtung zur Frage nach den häufigen Stilwechseln in seiner kompositorischen Entwicklung, bespricht Krenek seine neoromantische, mit Jazz-Elementen spielende Phase rund um Jonny spielt auf und die Kleine Symphonie, seinen Schritt zur Zwölftonkomposition mit der Oper Karl V und dem 6. Streichquartett (aus dem Adagio und Fuge stammt) und schließlich seiner jüngsten Beschäftigung mit seriellen Techniken, die in Quaestio Temporis angewendet wurden.

    für Bayerischer Rundfunk In eigener Sache lect

    Die eigene Sache, mit der ich mich hier befassen will, ist ein Aspekt meiner Musik, der von Zeit zu Zeit Beobachter meiner kompositorischen Karriere ver- wirrt und auch verdrießt. Es sind die auffallenden Wandlungen meiner Stils, besonders etwa in den ersten fünf- zehn Jahren meiner Laufbahn. Nach den üblichen Versuchen des Anfängers, der mehr oder weniger dem Mo- dell seines Lehrers folgt - also in meinem Fall den der spätromantisch-impressionistischen Diktion von Franz Schreker - wandte ich mich der damals besonders fortschrittlich erscheinenden Atonalität zu, wie sie sich etwa in Bartóks 2 fin mittleren Quartetten geltend macht, und schrieb manches lange und ziemlich wilde Stück. Das währte nicht lang Bald genug aber begann ich, mit dem Neoklassizismus zu kokettieren, und versuchte mich, wie mancher andere Zeitgenosse, in der Form des Barock-Konzerts. Kurz darauf kurz danach meine private und originelle reaktionäre Wandlung zurecht, und retirierte zum frühromantischen, von Schubert dominierten Stil des Reisebuch. In Jonny spielt auf ist dieser noch von den gewissen Jazz-Elementen durchsetzt, die aus der Nachkriegszeit verblieben waren und denen man etwas übertriebene Bedeutung beigemessen hat. Sie treten, in anderer Beleuchtung, nochmals auf im Leben des Orest, welches das Ende dieser Periode markiert.

    Während ich bisher mit den Tendenzen der Zeit gegangen war, legte ich mir 1'40 12*60=720:100=7 100 2

    Die Jazz-Emente sind auch bemerkbar in der Kleinen Sinfonie, die man jetzt hören wird. Sie wurde 1928 kom- poniert, steht also zwischen den beiden Opern, die ich nannte. Ihrer Form nach gehört sie zu den neoklassizistischen Produkten der Zeit. Der erste Satz hat die typische Sonatenform, sogar mit der altmodischen Wiederholung der Exposition, der zweite ist die übliche dreiteilige Liedform, der letzte ein Rondo. Eine originelle Idee war, den Streicherkörper auszuhöhlen und die Kavität mit Mandolinen und Banjos zu füllen. Der Jazz dominiert das Finale, das sich wie ein südamerikanischer Paso doble oder etwas dergleichen anläßt. Im Übrigen beschränkt er sich auf An- spielungen. Es lag mir nicht daran, eine Jazz-Sinfonie zu schreiben, sondern ein "Gebrauchsstück", das damals ein Genre, das den Komponisten von ihrem dem damals besonders lebhaften sozialen Gewissen nahe gelegt wurde. Also wurde dem gemeinen Mann aufs Maul geschaut, um seine musikalische Umgangssprache nach- zubilden. Da gibt es das rapide Trompetengeschnatter, das ich mir eine Militärkapelle in Südfrankreich zugeblasen hatte, sentimentalische Kitschmelodik, pseudo-dramatische Ballung, alles ohne die geringste parodistische Absicht, sondern gespeist von der naiven Vorstellung, daß sich der Ursinn des abgelebten Materials durch ein direktes Neuerlebnis in morgendlicher Frische müsse wiederherstellen lassen. Immerhin gibt es abgesehen, von der pikanten Orchestration ein paar Finessen, wie das Schwanken zwischen As und A moll im ersten Satz, die 7/8 und 5/8 Perioden im zweiten, den schockartigen Tempo- wechsel im dritten. Kleine Symph.

    1'50 110/210 3

    Das frische Neuerlebnis hat offenbar einige muntere Musik- stücke gezeitigt, es führte aber endete jedoch alsbald in einer Sackgasse. Das alte Vokabular, war ist gewiß voll von ursprünglicher Kraft gewesen, als es neu war, und dieser Kraft werden wir gewahr, wenn wir den Schöpfungen jener Zeit gegenüberstehen. Aber seit es in die Umgangssprache abgesunken ist, haben sich viele seiner Elemente in Clichés verwandelt, d. h. sie sind glatte abgegriffene Münzen geworden, deren ursprünglicher hoher Wert ihnen nicht mehr abgelesen werden kann. Der Versuch, die alte Prägung wiederherzustellung, bleibt notwendigerweise illusorisch und unterscheidet sich kaum wesentlich von dem, was die Handwerker tun, die die Gemeinplätze der Umgangssprache bevölkern und sie zu profitablen Markt- plätzen machen, nämlich von der Manipulation von Clichés. Der einzige Weg Ausweg, der sich in dieser Sackgasse anbot, war die Zwölftontechnik, und dieser wandte ich mich zu, nicht ohne Zögern und peinvolle Gewissenserforschung, kurz nachdem ich mich am Ende der Zwanzigerjahre wieder in meiner Heimatstadt Wien niedergelassen hatte. Man kann sagen, das sei ein wenig spät für einen streb- samen Neutöner. Ein solcher hätte Arm in Arm mit Berg und Webern in der Stoßtruppe Schönberg marschieren sollen, die längst vorher aufgebrochen war. Nun, mir ist es zu- nächst einmal nicht gegeben, daß ich mit niemandem so richtig Arm in Arm, oder Schulter an Schulter marschieren kann. Vielleicht erreiche ich deshalb die jeweiligen Übungsplätze der Avantgarde, wenn die Nachhut auf dem Plan er- scheint. Aber ich fühle mich darüber nicht allzu be- klommen, da es mir scheint, daß meine Operationen dadurch etw eine gewisse Originalität aufweisen. Leider sind sie trotzdem nicht besonders auffällig, weil sie zeitlich ungünstig liegen. Aber das gehört auf ein anderes Blatt.

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    Mein ersten Versuch in der Zwölftontechnik war sogleich ein wenig anspruchsvoll; es war recht ambitioniertes Unternehmen: das Bühnenwerk Karl V. Es wurde 1933 abgeschlossen. Die Erfahrung, die sich durch diese große und weitverzweigte Arbeit ergab, wies mich immer stärker mehr und mehr auf eine Verfeinerung und Verdichtung des komposi- torischen Verfahrens hin. Ich fühlte mich in zunehmenden mehr und mehr zu Maß Webern's völlig durchgearbeiteter, asketischer und doch dabei atemraubend eleganter Handhabung der Tonreihentechnik hingezogen. Zwei Werke, das 6. Streichquartett von 1936 und die Klaviervariat- ionen von 1937, zeigen an, wie weit ich in dieser Richtung gehen zu sollen glaubte. Adagio und Fuge für Streichorchester, das nun zu Gehör kommen wird, ist eine Bearbeitun Trans- kription der beiden letzten Sätze des Quartetts für einen größeren Streichersatz Besetzung, ohne jede Änderung der musikalischen Substanz. In der Fuge, die vier Themen hat, von denen jedes aus dem Hauptthema eines der vorangehenden vier Sätze gewonnen ist, in dieser Fuge also ist das serielles Prinzip, angewendet das die heutige Musik entscheidend beeinflußt, in gewissem Sinne vorausgenommen. (Wie man sieht, ermahnt treibt mich das schlechte Gewissen über mein Zuspätkommen oft zum Versuch des Nach- weises, daß ich eigentlich schon längst da war.) Item, die Fuge schließt mit einem Abschnitt, in welchem alle vier Themen in allen vier Formen (geradeaus, umgekehrt, rückläufig und rückläufig umgekehrt) nach einem bestimmten Ablaufsplan gleichzeitig präsentiert werden, bis alle Kombinationsmöglich- keiten erschöpft sind. Das ist insofern eine serielle Idee, als hier ein von der musikalischen Substanz unabhängiges Kon- struktionsprinzip auf diese losgelassen wird, ohne die Er- gebnise im Detail vorausbestimmen oder kontrollieren zu können. Daß das vierte Thema der Fuge aus dem voran- gehenden Adagio stammt, dürfte übrigens unschwer zu erkennen sein. Adagio / Fuge

    127/457 720 -457/283 263 115/148 5

    Es wurde mir von fortschrittlichen Theoretikern der Zwölftontechnik vorgehalten, daß die Verwendung der Fugenform Form im dode- kaphonischen Raum ein Atavismus sei, da die Fuge die Tonika-Dominantspannung voraussetze und daher in der Atonalität unmöglich sei. Die gleichen Kritiker be- anstandeten, daß ich, mich für einen modernen Kompo der doch als Vertreter eines entschiedenen Modernismus gelten wolle, mich allzusehr in historische Studien vertieft hätte, und wiesen auf Schönberg hin, der es offenbar nicht nötig gehabt habe, sich um die Geschichte zu kümmern. Nun hat ja aber gerade Schönberg in manchen seiner Werke, seit sein die nach der ersten großen Zwölfton-Arbeit, nämlich dem Bläserquintett, entstanden, immer wieder auf die klassischen Formen der Sonate und Suite zurückgegriffen, die in ihrer ursprünglichen Ausprägung gewiß auch an die Tonalität gebunden waren. Meine Quartettfuge ist dann auch nicht ein Versuch, das barocke Fugenwesen neoklassizistisch zu erneuern, son- der ein atonales Zwölftonstück, das ein radikal vereinheitlichtes Themenmaterial imitatorisch durchführt, wobei sich der imitatorische Stil gewissermaßen von selbst daraus ergibt, daß die thematischen Gestalten in allen vier Stimmen fortwährend anwesend sind, zeitlich gegeneinander verschoben, wie in permanenten Engführungen.

    Damals empfand ich das 6. Quartett und die Klaviervariationen als einen extremen Phase in meiner Auseinandersetzung mit dem Zwölftonwesen. Zehn Jahre später äußerte ich in meiner Selbstdastellung, daß ich glaubte, die Stil Schreibweise sei etwas ver- steinert und starr geworden. Es gibt mir zu denken, daß ich dieses Urteil heute gar nicht mehr bekräftigen kann, das ich das Quartett sehr flüssig und besonders das Adagio

    1.50 = 110 6

    mit emotioneller Intensität geladen finde, die mich an Mahler und gelegentlich Schönberg erinnert. Freilich bin ich seit mehreren Jahren von dem gelockerten Stil abgekommen, den ich mir während meiner ersten Jahre in Amerika zurechtgelegt hatte, als ich glaubte, daß man von den streng durchgeführten Konstruktionen der Zwölf- tontechnik zu einer Art neuer Spontaneität sich entwickeln müsse.

    Erst gegen die Mitte der fünfziger Jahre schwang mein Pendel wieder zurück (also wohl wieder etwas spät), und ich be- gann, mich auf meine Weise mit den Ansprüchen der seriellen Musik zu beschäftigen, d.h. ich begann, die konstruktive Vorausbestimmung und Festlegung, die in der Zwölfton- technik auf die Tonfolge beschränkt war, auf die anderen Bereiche des musikalischen Vorgangs auszudehnen. Indem also alles, was sich in dem Musikstück ereignet, auf eine einzige Grundreihe und die aus ihr abgeleiteten Serien von Maßzahlen zurückgeführt ist wird, ist alles thematisch, noch mehr so als etwa in dem 6. Quartett, wo ja außerhalb der Coda der Fuge manche musikalische Gestalten vorkommen, die mit dem thematischen Gehalt des Werkes nur durch die gemeinsame Abstammung von der Zwölftonreihe zusammenhängen. Also noch mehr Versteinerung? Totale Versklavung an ein mechanisch er- rechnetes System?

    Beim Anhören einer meiner größten Arbeiten in diesem Stil, Quaestio temporis, aus dem Jahre 1959, habe ich keines- wegs diesen Eindruck. Ein Hörer, der an die mehr oder weniger klar ersichtlichen thematischen Rückbeziehungen der klassischen Musik, auch der klassischen Zwölftonmusik ge-

    1.25 = 85 7

    wöhnt ist, wird die Quaestio vielleicht chaotisch finden, was doch wohl das Gegenteil von starrer, zwangvoller Konstruktion ist. Das läßt sich damit erklären, daß die totale Durchkonstruktionarbeitung, die alles jedes Element der Zeichnung auf jedes andere bezieht, in ihr Gegenteil um- schlägt. Es ist vor allem die Unterordnung der Zeitdimension, also der rhythmischen Verhältnisse, unter vorausbestimmte Reihenkategorien, die die Entstehung von Themen im alten Sinn nicht aufkommen läßt. Und so öffnet die strengste Bindung auf merkwürdige Art das Tor zu einem neuen Areal völliger Ungebundenheit. Der Titel Quaestio temporis, Frage der Zeit ist absichtlich die mit Absicht wegen seiner Viel- deutigkeit gewählt. Eine naheliegende Deutung ist, daß alles, was in diesem Stück geschieht, infolge der seriellen Durchkonstruktion eine Frage der Zeit ist. Andere Deutungen mögen sich anbieten und ebenso viel für sich haben.

    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    In eigener Sache

    Untertitel

    [Vortrag] für [den] Bayerischen Rundfunk

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    7

    Signatur

    LM-101

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Neue Musik, Autobiografie, Serielle Musik, Zwölftontechnik
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