Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke
Medea
Dramatischer Monolog für Mezzosopran und Orchester, op. 129 (1951)
Text
Euripides (englische Nachdichtung von Robinson Jeffers, deutsch von Ernst Krenek)
Verlag / Rechte
Bärenreiter
LM BA 3570, KA BA 357
Dauer
16 Minuten
Uraufführung
13. März 1953
Academy of Music, Philadelphia
D Eugene Ormandy
Blanche Theborn (MS)
Aufführungen
Konzil, Konstanz (2005), Stadthalle Kassel (2002), Musikverein, Wien (1993), Konzerthaus Wien, Wiener Festwochen (1954), Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, Darmstadt (DEA, 1954)
Aufzeichnungen
keine
Besetzung
2.2.2.2 – 4.2.2.1 – 2 Perc – Str
Themenkreise
Argonauten-Sage/Untreue, Niedertracht, Rache
Entstehung
Der dramatische Monolog entstand als Auftragswerk für die amerikanische Sängerin Blanche Thebom, Star an der New Yorker Metropolitan Opera. Sie war beeindruckt von der Darstellung der Medea durch die Tragödin Judith Anderson, die damals in der Euripides-Nachdichtung des amerikanischen Dichters Robinson Jeffers Triumphe feierte. Blanche Thebom wollte diese Medea im musikalischen Medium darstellen. Sie wählte selbst die Textstellen, die einen ihren Wünschen entsprechenden Monolog ergeben würden.
Zeit und Ort der Handlung
Antikes Griechenland
Inhalt
Dargestellt ist jene zentrale Phase der Argonauten-Sage, in welcher vor allem Verrat, Zauberei, Intrige und Rache herrschen. – Medea, von Jason schmählich zugunsten Glaukes (Tochter des korinthischen Königs Kreon) verstoßen, ist zutiefst verzweifelt. Grausam wird sie sich rächen, Eifersucht stachelt sie an. Zaubermittel und die Göttin Hekate (Tochter des Titanen Perses) werden helfen. Im überreichten Goldgewand muss Glauke verbrennen, ihre Kinder mit Jason wird sie töten. – Medea beklagt das Los der Frau und entschwindet. Jason bleibt allein.
(Was Krenek hier ungebrochen dramatisch abhandelt, wandelt er rund zehn Jahre später im „Goldenen Bock“, Chrysomallis op. 186 zur absurden Groteske.)
Musik
Dramatische Höhepunkte sind die grellen Dissonanzen, die erklingen, wenn Medea, in wahnsinniger Wut, sich Jason in den Armen der Rivalin vorstellt, die Anrufung der Hekate mit einem Sprung der Singstimme über mehr als zwei Oktaven, und die harten, von jenen „Wahnsinns-Dissonanzen“ eingeleiteten Schläge, die die Tötung der Kinder andeuten. Die kurze orchestrale Einleitung hebt sogleich das melodisch wichtigste Element des Werkes hervor: die aufsteigende Quart, von absteigender stufenweiser Bewegung gefolgt. Dieses Melisma bildet den Kern einer Zwölftonreihe.
(aus: Alte und Neue Musik, s.u.)
Der an Wahnsinn grenzende Furor Medeas [erhält] konzentriertere Eindringlichkeit. Zudem ist die – schon von Euripides beabsichtigte – Montage von Erinnerungsbruchstücken in seiner monologischen Form noch stärker verdichtet. … Die Verschränkung von extremen Ausdrucksbereichen aller Parameter kennzeichnet die Grundidee des Orchestersatzes. … So bildet sich eine extreme Innenspannung des Monologs aus aufwühlenden Einzelimpulsen … Kreneks kompositionstechnische Verfahrensweise, die zwischen „klassischer“ Dodekaphonie und frei atonal gedachter Strukturbildung anzusiedeln ist, erinnert stellenweise mehr an seine Werke der frühen zwanziger als an solche der vierziger Jahre.
(Aus: Matthias Schmidt, Im Gefälle der Zeit, s. u.)
Im Spiegel der Presse
Zur Aufführung in Konstanz 2005
Südkurier
9.12.2005, Elisabeth Schwind
Krenek zeigt eine Medea im Zickzack der Emotionen, in die sich Daphne Evangelatos rückhaltlos hineinstürzt … Das Orchester spielt dabei den Part des Seelenspiegels, in dem sich die emotionalen Regungen, von düsterer Todesahnung bis zum spontanen Aufschrei, abzeichnen.
Zur Aufführung bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 1954
Darmstädter Echo
24.8.1954, Ernst Thomas
Souveränität in der Textauffassung, Souveränität in der Auswahl und Anwendung der musikalischen Mittel offenbart sich in dem dramatischen Monolog Medea. … glühend aus innerer Dramatik, die der äußeren Darstellung entraten kann. … die Konzilianz der hier angewendeten Tonsprache … fasziniert aus dem Melos, aus der Sprach- und Orchesterbehandlung … Krenek [schreibt] einen Weltstil, alles sagend, dass diese Medea in der Welt verstanden wird.
Darmstädter Tagblatt
25.8.1954, Albert Rodemann
Kreneks Medea ist das glänzendste Zeugnis von der Lebendigkeit des gern totgesagten musikalischen Expressionismus. … Das großartige Stück rückt den Komponisten Krenek mit einem Schlage wieder in den Mittelpunkt der musikalischen Situation der Gegenwart. Die Aufführung wurde zum absoluten Höhepunkt der bislang in den Ferienkursen gebotenen Wiedergabe von Werken lebender Komponisten.
Zur Aufführung bei den Wiener Festwochen 1954
Arbeiter-Zeitung Wien, F. S.
Unter den vielen Neuheiten ragt ein Werk durch Eigenart und künstlerisches Wesen wie ein riesiger Fels unter Steinbrocken hervor: Medea von Ernst Krenek. … es ist ein Kunstwerk ohnegleichen. … Die Situation wird durch Kreneks Musik so restlos ausgeschöpft, dass … eine neue, über den seelischen Raum der dargestellten Person hinausgreifende Wirklichkeit entsteht. Der Komponist setzt in diesem Werk gewaltige geistige Energie und sein ganzes überragendes technisches Können ein …
Zur Aufführung in New York 1954
Kurier
3.4.1954
Das als symphonischer Monolog geschaffene Werk offenbart Krenek auf stolzer Höhe artistischer Feinmalerei. Die nach kurzem Orchestervorspiel fast pausenlos singende Stimme ist zum Elementarmittel wuchtiger Ausbrüche gestaltet worden, dergestalt, dass freier Deklamierung weitgehender Spielraum gegeben wurde. … es fehlt auch nicht an sehr getragener Größe, an süßer Zartheit und an starker Noblesse in der Behandlung der Solostimme. Das Orchester beschränkt sich auf psychologische Farbakzente, brüske Unterstreichung der stark gedrängten Handlung … Die Wiedergabe bedeutete triumphalen Erfolg.
Weiterführende Literatur
Matthias Schmidt, Im Gefälle der Zeit – Ernst Kreneks Werke für Sologesang, Bärenreiter, Kassel 1998, S. 143 - 152
Ernst Krenek, Medea, in: Alte und Neue Musik Vol. 2: Das Basler Kammerorchester 1926-1976, Atlantis Verlag 1977, S. 251f