Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke
The Belltower / Der Glockenturm
Oper in einem Akt (drei Szenen), op. 153 (1955/56)
Text
Ernst Krenek (englisch und deutsch) nach der Erzählung The Belltower von Herman Melville
Verlag / Rechte
Bärenreiter
LM / BA 4313
Dauer
58 Minuten
Uraufführung
17. März 1957
Lincoln Hall Theatre / University of Illinois, Urbana (IL, USA)
D John Garvey
R Ludwig Zirner
B George Talbot
Aufführungen
Sophiensæle, Berlin (2002), Semperdepot Wien (Klangbogen Wien / Wiener Festwochen, 1999, ÖEA), Deutsche Oper am Rhein, Duisburg (1958)
Aufzeichnungen
2003, CD- und VHS-Mitschnitt Sophiensæle, Berlin (unveröffentlicht): D Vicente Larranaga, R Sven Holm, B Mathias Rümmler; Bannadonna: Rupert Berg-mann, Una: Julia Hening, Giovanni: Melih Tepretmez u.a.
Besetzung
Bannadonna, Glockengießer und Architekt (Bar), Giovanni, Vorarbeiter in der Werkstätte (B), Una, Giovannis Tochter (S) zwei Senatoren (T und Bar), zwei Arbeiter (T und Bar), Arbeiter, Bürger (Chor)
1.1.1.0 – 0.1.1.0 – , Perc (4) – Pft (2) – Str
Bühne: 2 Trp, Pos
Themenkreise
Herman Melville / Symbolismus
Letaler Perfektionswahn eines Künstlers
Entstehung
Krenek, ein Verehrer Herman Melvilles, verfasste das Libretto nach dessen Vorlage, wobei in jenem die Handlung erst nach Vollendung des Turmes und dem Guss der Glocken einsetzt. Sein Argument zur Konzeption: „Während es des Dichters Recht war, seine Geschichte mit ungelösten Rätseln auszustatten, war es des Dramatikers Pflicht, diese auf seine eigene Art zu klären. Eine Gleichung mit so vielen Unbekannten, wie Melvilles Novelle, erlaubt mehrere Lösungen.“
Zeit und Ort der Handlung
italienische Stadt zur Zeit der Renaissance
Inhalt
Bannadonna wurde beauftragt, einen Turm mit Glocke und Glockenspiel zu krönen. Während des Glockengusses erschlägt er den Vorarbeiter Giovanni, der seine Arbeiter schützen wollte. – Una, die Tochter des Ermordeten, ist Bannadonna verfallen, und überredet diesen, sie zur Installation der Glocken mitzunehmen. Verborgen befördert man sie auf den Turm. – Zwei Auftraggeber, Senatoren, bezichtigen Bannadonna des Mordes und der Anwendung von schwarzer Magie, was dieser zugibt.
Falls sie jedoch sein Kunstwerk fertiggestellt haben wollten, müssten sie ihn gewähren lassen. Una hat sein Geständnis mitgehört, hasserfüllt will sie ihn vom Turm stoßen. Doch Bannadonna verwandelt sie kraft seiner okkulten Fähigkeit zu Metall als Teil des Glockenspieles. Als er es in Gang setzt, wird er von den Metallfiguren erschlagen. Auf einer Glocke erscheint das Antlitz des von der Glocke „verschlungenen“ Mädchens. – Man preist die Gerechtigkeit Gottes.
Musik
An der Partitur ist ein Wechsel der Kompositionstechnik erkennbar: Es geht hier weniger um das Material selbst, viel mehr um dessen Lenkung […] Krenek regulierte nun nicht allein den Tonhöhenvorrat (die zwölf Stufen der chromatischen Skala), sondern auch die Tondauern und andere musikalische Größen (wie Dynamik, Klangfarbe etc.) über eine im Vorfeld des eigentlichen Kompositionsvorgangs festgelegte Reihe. […] Kreneks Oper ist am Vorabend seiner Entscheidung entstanden, das dodekaphone Komponieren fortan mit serialistischer Disziplin zu betreiben.
Das Licht des neuen Tages leuchtet in dem einaktigen Bühnenwerk bereits auf. […]
Matthias Henke, Vom Maß der Dinge. Gedanken zu Kreneks „Glockenturm“
Resümee
Eine packende Geschichte, die der Regie einiges an Interpretationsspielraum lässt. Kreneks Musik stützt die rasch fortschreitende Handlung und die agierenden Charaktere.
Im Spiegel der Presse
Berliner Zeitung
18. September 2002, Wolfgang Fuhrmann zur Aufführung in den Berliner Sophiensælen
Kreneks Werk klingt sehr roman-tisch-psychologisierend, mehr wie ein Charakterdrama als eine Meditation über die Gefahren naturwissenschaft-lich-technischer Hybris.
Kurier
20. August 1999, Harald Hebling zur Aufführung im Wiener Semperdepot
Das Glockengießen, einst ein gefährliches Unterfangen – bei Ernst Krenek wird es zum spannenden Krimi. Nicht allein die Handlung […] ist es jedoch, die den Abend trägt, es ist Kreneks dem Geschehen mit ungemeiner Intensität folgende Komposition: Sparsam angelegt, doch immer von ungeheurer Ausdruckskraft […]
Rezensionen zur Uraufführung am Lincoln Hall Theatre in Illinois
Der Aufbau
New York, 5. April 1957, Claude Palisca
Die Partitur offenbart eine sehr disziplinierte und konsequente Entwicklung kurzer, isolierter Motive, die von allen Seiten des tonalen Spektrums auf den Hörer eindringen. Diese musikalische Technik ist höchst geeignet für die Illustration des schnellen Handlungsablaufs und der sich überstürzenden Gefühle
[…] Das volle Kammerorchester wird nur an den drei Höhepunkten eingesetzt, dem Tod der Hauptpersonen.
The Musical Quarterly
17. März 1957, Soott Goldthwaite
Die steigende Spannung der Handlung spiegelt sich auf bewunderungswürdige Weise in Kreneks Partitur wider.
Weiterführende Literatur
Matthias Henke, Vom Maß der Dinge. Gedanken zu Kreneks Glockenturm, in: Programmheft Berliner Sophiensæle, 2002
Heinz Rögl, Ernst Krenek: Der Glockenturm – Klangbogen Wien im Semperdepot (Premiere 18.8.). Alexander Drcar und Michael Scheidl im Gespräch mit Heinz Rögl, in: Österreichische Musikzeitschrift, 54:6 (Juni 1999), S. 31–33