Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke

L’Incoronazione di Poppea (Die Krönung der Poppea)

Oper in zwei Teilen (sieben Bildern) von Claudio Monteverdi bearbeitet von Ernst Krenek, op. 80a (1937)

Text
Giovanni Francesco Busanello, übersetzt und bearbeitet von Ernst Krenek
Bei der Textübersetzung verzichtet Krenek auf das Versmaß zugunsten einer wortgetreuen Übersetzung. Statt dessen entspricht der deutsche Text der für den Komponisten charakteristischen Formulierungsart.


Verlag/Rechte     
Universal Edition
LM – KA UE 10902


Dauer
150 Minuten


Uraufführung
25. September 1937  Wien, Stadttheater

D Max Sturzenegger
(D der Intermezzi: Ernst Krenek)
R Eugen Schulz Breiden
B Theo Otto


Aufführungen
USA-und Kanada-Tournee der Salzburg Opera Guild (1937) (ohne Intermezzi)
USA-Premiere: 9.11.1937 New York, 44th Street Theatre (D: Alberto Erede)


Aufzeichnungen
Keine


Besetzung
Poppea (MS)
Nero (T)
Oktavia (MS)
Ottone (Bar)
Drusilla (S)
Arnalta (A)
Seneca (Bar)
4 kleinere Partien
Chor (SATB) – 1.1.1.1 – 2.1.1.0 – Hf, Harm, Klav (oder Cemb) - Str


Themenkreise
Triumph der Intrige abseits von Moral – im Banne der Liebe


Entstehung
Der ungarische Dirigent und Operndirektor Paul Czonka schlug Krenek vor, für das von ihm gegründete Opern-Ensemble „Salzburg Opera Guild“ und ihre Amerika-Tournee eine gekürzte Fassung der Monteverdi-Oper herzustellen. Seine Frau, Herta Glaz, sang die Titelrolle. Krenek schätzte Monteverdis Werk als Prototyp der politischen Oper, wie er diese für Karl V. konzipiert hatte. Das Libretto Busanellos bewunderte er wegen des latent fatalistischen Amoralischen, das letztlich obsiegt.
Kreneks deutsche Übersetzung wurde von Czonka, einem Verfechter der Originalsprachen, abgelehnt. Krenek bedauerte dies mehrmals, weil dadurch das Verständnis des Librettos in den Hintergrund gerate. Verstünde das Publikum die italienische Originalsprache nicht, werde beispielsweise der wichtige und spannende Dialog zwischen Nero und Seneca „langweilig und bedeutungslos“. In diesem Text witterte Krenek „atemberaubende Aktualität“. (EK: AZ)


Zeit und Ort der Handlung    
Antikes Rom zur Zeit Kaiser Neros


Anmerkungen zum Inhalt
Krenek war überzeugt, die Oper aus dramaturgischen Gründen beträchtlich kürzen zu müssen, um den Mechanismus der Intrige zu verdeutlichen. Zeitsymptomatisch schien es ihm lächerlich, dass Ottone Frauenkleider anlegt, um Poppea zu ermorden. Krenek strich auch die mythologischen Rahmenszenen der Götter. Also bewahrt nicht Amor, sondern Drusilla Poppea vor Ottones Mordanschlag. Drusillas Charakter wendet sich ins Positive. Als einzige Göttererscheinung bleibt die der Pallas erhalten, die Seneca den nahen Tod verkündet. Für Krenek gerechtfertigt, weil Seneca für ihn wegen dessen Würde „eine der vollkommensten Opernfiguren“ ist. Von den komischen Figuren behält Krenek nur Arnalta, die Amme Poppeas. Das Duett des „niederen Paares“ Valetto und Damigella nützt Krenek als eine Art Wiederverwertung, indem er Text und Noten Ottone und Drusilla in den Mund legt.


Musik
Monteverdis Bühnenwerk, Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt und längst in den Opernspielplänen verankert, wurde bis etwa 1950 mehrfach bearbeitet. Texteingriffe waren üblich, die Orchestrierung entsprach dem Bedarf großer Opernhäuser.
Als Arbeitsvorlage diente Krenek Francesco Malipieros Edition, von der er annahm, ihr „unbedingt“ vertrauen zu dürfen. Er beabsichtigte eine Wiederbelebung mit Hilfe zeitgenössischer Mittel. Wo Monteverdi nur Singstimmen und Continuo notiert hatte, war daher kompositorische Kreativität am Platz. Krenek orientiert sich am jeweils ausnotierten Umfeld des überlieferten Notentextes. Seine erheblichen Raffungen und Kürzungen betreffen vor allem Auslassungen ihm unwichtig scheinender Szenen oder Teilen daraus. Er verknüpft das komprimierende Procedere mit Einbindungen motivischen Materials Monteverdis und musikalisch neu gestalteten Zwischenspielen, oder mit Ritornellen, kompiliert aus nicht verwendeten Vokalstücken Monteverdis. Die ursprünglichen drei Akte fasst Krenek zu zwei Teilen zusammen, wobei der erste Teil mit dem Abschied des Seneca endet. Dazwischen setzt er ein längeres Intermezzo, das als eigenständiges Stück angelegt ist. Überliefert sind eine venezianische und eine napolitanische Ouverture. Krenek verbindet sie zu einer. Seine Generalbassaussetzung orientiert sich an der gesamten Oper, also nicht an einzelnen Bausteinen daraus. Für ihn als Bearbeiter sei es eine wichtige Aufgabe, die „durchaus spürbaren, aber in der kargen Aufzeichnung Monteverdis latenten größeren Formzusammenhänge evident zu machen“ (im Sinne einer durchkomponierten Oper). Das Continuo sei tunlichst in einer „stimmigen Polyphonie“ auszusetzen. (Bei Krenek Harfe, Harmonium, Klavier, Cembalo; diese Generalbassinstrumente sind partiell Personen zugeordnet.) Die Harmonisierung insgesamt gerät allerdings wegen ihrer Reichhaltigkeit in die Nähe der Opernmusik des späten 19. Jahrhunderts und übertrifft daher die Usancen zur Zeit Monteverdis. Im Gegenzug ist das Instrumentalensemble relativ klein besetzt und erlaubt eine schlanke Klanglichkeit. Jedenfalls sind die bearbeiterischen Freiheiten verschieden gewichtet. Denn Krenek nennt als Autor Monteverdi, nur bei der Poppea-Suite, aus den Zwischenspielen gewonnen, nennt er sich selbst.
(Textbasis für die Anmerkungen zu Inhalt und Musik: Rainer J. Schwobs Studien zur Poppea-Bearbeitung Kreneks und dessen Im Atem der Zeit. Vgl. weiterführende Literatur)

 


Im Spiegel der Presse

Wiener Zeitung
26.9.1937, Hans Ewald Heller – zur Premiere im Stadttheater Wien:
Krenek tritt als Selbstschaffender neben das Genie Monteverdi. Er versucht den Raum, der sich zwischen Oberstimme und Bass, zwischen Himmel und Erde spannt, mit Eigenleben zu erfüllen. … Es gehört ein ungeheures technisches Können dazu, innerhalb des streng umschriebenen Gebietes, dessen Grenzen Melodie und Bass heißen, eigenschöpferisch aufzutreten und dennoch nirgends gegen den Grundcharakter und den Stil des Originalkomponisten zu verstoßen. … [Krenek] griff mit der Faust des routinierten Theatralikers auch in das dramaturgische Gefüge ein. Seine Bearbeitung … macht aber auch … den Charakter dieser Oper als Kammerspiel mit überlebensgroßen Figuren, die mitunter von ihren Leidenschaften besessen sind, … deutlich erkennbar. … Die Aufführung hinterließ den stärksten Eindruck. Es war, als ob sich in dieser Oper klassische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die Hand reichten.

New York Times
10.11.1937, Olin Downes
The opera is condensed, but the original music has been greatly elaborated. … A musical antiquarian would be likely to condemn this scoring lock, stock and barrel, and it is certain that Vincent d’Indys version of the score is nearer the simplicity of the Monteverdi manuscript. Mr. Krenek uses a small modern orchestra. He makes no attempt at antiquarianism in the use of a band. … - What was the result? Perhaps, for those acquainted with the matters at stake, an uncomfortable feeling of something unnatural and exaggerated in the situation, but also, and above everything, a very warm response to the simplicity and eloquence, the kindling humanity and grandeur of the line allotted the singers. … This revival of an old masterpiece won the hearty approval of a modern audience.

 

Weiterführende Literatur

Rainer J. Schwob, Ernst Kreneks Bearbeitung von Claudio Monteverdis L’Incoronazione di Poppea, in: Studien zur Musikwissenschaft. Beihefte der Denkmäler der Tonkunst in Österreich. 53

Ernst Krenek, Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne, Braumüller Verlag, Wien 2012 (Reprint der dt. Ausgabe 1998)

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