Igor Strawinsky und Ernst Kreneks Spätwerke

Ernst-Krenek-Studien Band 5
Herausgegeben von Claudia Maurer Zenck

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Claudia Maurer Zenck: Schnittpunkte zweier Biographien

Eva Maria Stöckler: Zwischen Klangspiel und ästhetischer Kommunikation. Für wen komponierten Igor Strawinsky und Ernst Krenek ihre Spätwerke?

Matthias Schmidt: "Spätwerk". Anmerkungen zu Phänomen und Begriff unter besonderer Berücksichtigung von Igor Strawinsky und Ernst Krenek

Friedrich Geiger: Strawinskys The Rake's Progress - Schwelle zum Spätwerk?

Monika Woitas: "The limits generate the form." Anmerkungen zu Strawinskys letztem Ballett Agon

Frederik Knop: "So uniquely cinematographic". Igor STrawinskys und Georges Balanchines The Flood (1962) im U.S.-amerikanischen Fernsehen

Gesine Schröder: "komponieren; mit den Händen". Timbre in Strawinskys Spätwerk und ein Blick darüber hinaus, auf Grisey

Matthias Henke: "Sich im Unendlichen schneiden". Krenek Lamentatio Jeremiae Prophetae (1941/42) und Strawinskys Threni (1957/58) als Sonderfall einer Parallelvertonung

Jürg Stenzl: Ernst Kreneks "Spätwerk"?

Christoph Taggatz: Serialismus und Aleatorik. "Ermatten der Avantgarde" in Ernst Kreneks Orchesterwerken?

Barbara Zuber: Chrysomallos. Ernst Kreneks Travestie des Mythos vom Goldenen Vlies

Claudia Maurer Zenck: Rückblick und Reflexion des Ich. (Spät-)Werk und Dokument?

Hans Rudolf Vaget: "Greisen-Avantgardismus". Zur Thematik des Alterswerks bei Thomas Mann

Solveig Kristina Malatrait: Alfred de Vignys Destinées. Versuch über die Disharmonie des Spätwerks

Werner Spies: Picassos zwei Geschwindigkeiten - das Spätwerk

Zusammenfassung

Der Band spannt zwei Komponisten des 20.Jahrhunderts zusammen, die weder zur selben Generation gehören noch etwa durch ein Lehrer-Schüler-Verhältnis verbunden waren. Dennoch erfuhren beide gegen Ende ihres Lebens als Komponisten Ähnliches: Gerade die Werke ihrer letzten Schaffensphase wurden eher vernachlässigt als anerkannt, also nicht (oder nur vorübergehend) ins Repertoire aufgenommen, wodurch die Rezeption hätte gefördert werden können. Beide Komponisten nehmen daher im Bewusstsein des musikinteressierten Publikums ihren Platz eher mit Werken früherer Schaffensperioden als mit denen ihrer letzten Lebensphasen ein. Bei Strawinsky handelt es sich vor allem um die großen frühen Ballettmusiken und neoklassische Werke der mittleren Zeit, bei Krenek sind es eher einzelne Werke aus verschiedenen Phasen, insgesamt ein kleiner Bruchteil seiner mehr als 240 mit Opuszahlen versehenen Werke. Im vorliegenden Band sollen deshalb Werke – und zwar solche ganz unterschiedlicher Art – aus der letzten Schaffensphase der beiden Komponisten vorgestellt, analysiert und diskutiert werden, um damit beim Publikum Neugier auf sie zu erregen und Interesse für sie zu wecken.


Aber es geht noch um mehr: Beide Komponisten waren auch in reifem Alter noch darum bemüht, sich mit neuen Kompositionstechniken vertraut zu machen. Dies geschah ungefähr zur selben Zeit: Anfang der 1950er Jahre, und sicher nicht zufällig, sondern infolge ihres nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erneuerten Kontakts mit Europa. Mit ihren Bemühungen fanden beide aber nur wenig oder gar keine Anerkennung unter den eine bis zwei Generationen jüngeren Komponisten. Woran lag das? Läßt sich der Begriff Spätstil beziehungsweise Spätwerke auf diese beiden Komponisten überhaupt anwenden?


War es ein Problem der Rezeption in einer Zeit, in der »große alte« Männer oder Frauen nicht mehr en vogue waren? Schlug es ihnen also geradezu zum Nachteil aus, dass sie ein hohes Alter erreichten und bis kurz vor ihrem Tod schaffend tätig waren, anstatt zu verstummen oder zumindest bei ihren bewährten Leisten zu bleiben und Stilkopien zu schreiben? Durften sie nicht mehr neugierig sein und Neues wagen?
Oder lag es an den Werken? Sind es späte Werke, die chronologisch in ihre letzte Lebenszeit gehören, also Alterswerke, die vielleicht besonders hohe Ansprüche ans Verständnis stellen, etwa weil sie schwierig oder unzeitgemäß sind? Sind es misslungene Alterswerke? Oder sind es eigentliche Spätwerke und fallen sie in die Kategorie des Spätstils, die als altersunabhängig bestimmt wird, so dass sogar Schubert und Mozart mit einigen ihrer letzten Werke hierunter subsumiert werden können?
Kann ein alter Mensch auch ein Spätwerk im emphatischen Sinne schaffen oder nur ein Alterswerk? Noch weiter zugespitzt: Kann ein Alterswerk zugleich ein Spätwerk sein? Und damit zusammenhängend: Wann beginnt und worauf gründet sich in einem kompositorischen Schaffen überhaupt die Spätwerk-Phase?


Die Antworten auf diese Fragen fallen in den einzelnen Beiträgen höchst unterschiedlich aus, zumal nicht nur die Disziplin der Musikwissenschaft gefordert ist, sondern es auch wichtig scheint zu erfahren, ob und wie diese Diskussion in anderen Disziplinen geführt wird, beispielsweise in der Kunstgeschichte (Werner Spies über Picasso), der Germanistik (Hans Rudolf Vaget über die Brüder Mann) und Romanistik (Solveig Malatrait über Alfred de Vigny), und welche Resultate sie dort erbringt. Die drei Beiträge, im vorliegenden Band am Schluss platziert, fördern einige überraschende Differenzierungen zur Diskussion in der Musikwissenschaft zutage; dabei ist die frappierendste Erkenntnis wohl die, dass und warum unser Thema für die Romanistik keins ist.

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