Zwölftontechnik für Baden-Baden SWF

Abstract

Kreneks Vortrag zur Zwölftonmusik geht auf die praktischen Aspekte der Kompositionstechnik ein. Er beschreibt mit zahlreichen (vermutlich von ihm selbst am Klavier vorgetragenen) Beispielen welchen kreativen Spielraum Komponierende haben um mit unterschiedlichen Möglichkeiten die Zwölftonreihen zu manipulieren zu musikalisch interessanten Stücken kommen.

Der Vortrag wurde im September 1951 in Baden-Baden gehalten und im SWF übertragen, und stellt mit dem Fokus auf praktische Anwendung der Zwölftontechnik im Kompositionsprozess eine inhaltliche Ergänzung zu dem wenige Tage zuvor in Berlin gehaltenen Vortrag über das „Schicksal der Zwölftontechnik“. [vgl. LM 216]

    Zwölftontechnik f. Baden-Baden SWF lect

    Über die Zwölftonmusik läßt sich von vielerlei Gesichts- punkten diskutieren. Heute will ich sie einmal durchaus von der Praxis her besprechen und Ihnen direkt demonstrie- ren, wie man mit Zwölftonreihen komponiert. Zunächst müssen wir uns darüber klar werden, wozu ein Komponist überhaupt Zwölftonreihen braucht, um zu komponieren. Die zwölf verschiedenen Töne, die wir innerhalb einer Oktave haben 12Ton Skala, sind schon seit undenklichen Zeiten bekannt und sind in unserer Musik seit dem späteren 15. Jahrhundert kon- stant verwendet worden. Die Zwölftontechnik hat also dem Material der Musik nichts Neues hinzugefügt. Das Thema der 24. Fuge im 1. Buch des WTK ist nicht gerade eine Zwölftonreihe, aber es enthält alle 12 Töne auf engem Raum. Das betreffende Musikstück beruht jedoch auf den Prinzipien der tonalen Harmonie, wie eine einfache Harmonisierung des Themas zeigt: ___ Die Zwölftonmusik, die wir heute betrachten wollen, unterscheidet sich von der älteren Musik dadurch, daß sie nicht auf der tonalen Harmonie beruht, d. h. daß die Akkorde, die Zusammenklänge, die in ihr entstehen, nicht in jener Weise mit einander zusammen- hängen wie die, die ich eben gespielt habe. Das ist die erste, wesentliche Voraussetzung der Zwölftonmusik. Wer tonale Musik schreiben will, wird keine Zwölftonreihen benützen. Man kann das besser und leichter ohne eine solche tun. Die zweite Voraus- setzung ist, daß in der Musik, die wir jetzt betrachten, alle zwölf Töne fortgesetzt auf engem Raum vorkommen sollen. Wiederum müssen wir festhalten, daß wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, die Verwendung von Zwölftonreihen keinen Sinn hätte. Die dritte Voraussetzung ist, daß wir eine Musik schreiben wollen, in welcher die verschiedenen Elemente der Komposition, ihre Motive und Themen, in ganz besonders engen Beziehungen zu einander stehen sollen, etwa in der Art der strengen und konsequenten, planvoll durchdachten Kon- struktion, wie wir sie in Bach und im späten Beethoven vorfinden. Wollten wir locker gefügte Formen schaffen wie

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    man die etwa bei Chopin und in anderer romantischer Musik an- trifft, oder frei schwebende, improvisatorische Gebilde erzeugen wie Debussy, so würden wir gleichfalls nicht zur Zwölftontechnik greifen. Diese drei Voraussetzungen: atonale Harmonik, zwölf Töne auf engen Raum, dichte motivische Struktur, sind völlig unserer freien Wahl überlassen. Niemand braucht solche Musik zu schreiben. Es hat sich jedoch gezeigt, daß, wenn diese drei Voraussetzungen vorhanden sind - und es scheint, daß eine große Anzahl zeitgenossischer Komponisten sie gewählt haben - daß in diesem Falle die Zwölftontechnik eine sehr geeignete Methode ist, um die gewünschten Resultate zu erzielen.

    Wir wollen jetzt von allen philosophischen und historischen Zusammenhängen absehen und uns anschauen, wie die Sache praktisch aussieht. Wenn man unsere drei Voraussetzungen gründlich durchdenkt, so ergibt sich, daß man sich es vorteilhaft ist, sich eine bestimmte Anordnung der zwölf Töne zurecht zu legen und dann an ihr für die ganze Länge der Komposition festzu- halten. Diese Anordnung der 12 Töne nennen wir eine Zwölfton- reihe. Wenn man diese Reihe fortgesetzt verwendet, werden zunächst einmal die 12 Töne fortgesetzt auf engem Raum vorkommen. Auch die atonale Harmonik wird sich auf diese Weise von selbst er- geben. Und dadurch, daß die Motive und Themen unseres Musik- stücks alle auf der gleichen Ton- und Intervallfolge beruhen, wird die von uns angestrebte Dichte, der Reichtum am an Beziehun- gen zwischen den einzelnen kompositorischen Elementen, von vorn herein weitgehend gewährleistet sein.

    Jetzt wollen wir uns eine Zwölftonreihe aus den über 44 Millionen, die man zusammenstellen kann, aussuchen. Reihen, in denen dasselbe Intervall allzuhäufig vonkommt, sind nicht sehr praktisch, weil die Musik durch ständige Wiederholung dieser Intervalle leicht monoton wird. Eine Reihe wie diese ist nicht sehr empfehlenswert. Die folgenden ist günstiger und diese wollen wir als Basis für die heutige Demonstration benützen.

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    Dieser Reihe ist noch kein musikalisches Thema. Sie ist nur eine individuelle Anordnung des Materials, das wir benützen wollen, nämlich der 12 Töne. Aus dieser Reihe, die wir auch als Grundgestalt bezeichnen können, werden wir die eigentlichen musika- lischen Elemente der Komposition entwickeln.

    Um zu zeigen, wie das gemacht wird, werden wir uns zunächst eine ganz einfache Aufgabe stellen, und das einfachste musikalische Problem ist wohl, eine melodische Linie ohne jede Begleitung zu erfinden. Wie Sie wissen, gibt es in der Literatur eine beträchtliche Anzahl solcher Stücke; besonders die große Musik des gregorianischen Gesanges besteht aus einstimmigen Melodien, und es gibt viele Sonaten und Suiten für Streichinstrumente solo. Unser Vorhaben ist also nicht etwa abstrakt oder künstlerisch sinnlos. Da wir zunächst nichts weiter zur Hand haben als unsere Grundgestalt, kann unsere Komposition aus nichts anderem bestehen als aus einer Reihe von Wiederholungen dieser Grundgestalt. Das scheint nicht viel Abwechslung zu versprechen, doch werden uns hier zwei Faktoren sehr zu Hilfe kommen. Erstens einmal haben wir alle rhythmischen Möglichkeiten zu unserer Verfügung, d.h. wir können die Reihentöne nach Belieben in jedem erdenk- lichen Tempo einander folgen lassen. Ferner können wir den Raum der Oktave, in welcher die Originalreihe er- schien, überschreiten und die einzelnen Töne eine oder zwei in jeder beliebigen Oktavlage erscheinen lassen. Das heißt also, wenn die ersten 4 Töne der Reihe so lauten: so können wir sie auch so benützen , in wel- chem Fall der 2. Ton eine Oktave tiefer erscheint; oder so wobei die ersten zwei Töne eine Oktave höher, der vierte eine Oktave tiefer versetzt wurde. Das be- ruht darauf, daß gemäß unserem Hörempfinden die höheren und tieferen Oktaven eines Tones als identisch mit diesem Ton aufgefaßt werden.

    Jetzt bilde ich also eine melodische Phrase, in welcher die Töne unserer Reihe in der gegebenen Folge erscheinen.

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    Wie Sie sich leicht überzeugen können, habe ich hisher die ersten 8 Töne der Reihe benützt. Ich könnte natürlich diese Phrase noch länger ausdehnen, ziehe es aber vor, zu einer neuen Phrase anzusetzen. Das steht natürlich vollkommen in meinem Belieben, und ist in keiner Weise durch die Zwölftontechnik vorgeschrieben. Ich finde es hübsch, in der nächsten Phrase eine Beziehung zu der ersten herzustellen, und ich benütze dazu das rhythmische Bild des zweiten Teiles meiner ersten Phrase ____. Die Töne, die ich dazu benützen kann, sind mir allerdings vorgeschrieben. Ich habe noch 4 übrig in der Originalreihe, und wenn ich mehr brau- che, muß ich wieder von vorn anfangen. Hier ist meine 2. Phrase: Sie die hat 6 Töne. Die ersten vier sind die lezten 4 der Originalreihe, und ihnen folgen die ersten 2. Ich spiele jetzt beide Phrasen nacheinander. ____ Da ich mein kleines, einstimmiges Stück nicht zu lang machen will, ist es jetzt vielleicht Zeit für einen kontrastierenden Abschnitt. Da bisher die melodische Bewegung hauptsächlich in en- gen Intervallen vor sich ging, wollen wir jetzt Sprünge be- tonen. Durch die früher besprochene Oktavenversetzung läßt sich leicht jedes enge Intervall der Reihe in ein weites verwandeln, z. B. wenn ich in der Originalreihe hatte, so kann ich diese Tonfolge auch als darstellen. Wiederum ist mir für meine nächste Phrase die Tonfolge gegeben. Da ich am Ende der 2. Phrase mit beim 2. Reihenton angelangt war, muß ich jetzt mit dem folgend 3. Ton fortfahren. Ich lasse diese Phrase folgen. Sie ist durch die weitaus- greifenden Sprünge nach unter ausgegekennzeichnet, wodurch ich den Raum meiner Melodie erheblich erweitert habe. Jetzt muß ich für einen Höhepunkt sorgen, und ich führe

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    die Melodie schnell ihrem höchsten Ton zu: Wiederum bis ich mit gis am Ende der Reihe angelangt und habe mit d einen weiteren Eintritt der Reihe eingeführt. Um die Form der Komposi- tion abzurunden, werde ich jetzt zu den Charakteren des ersten Teils zurückkehren. Da ich in der Reihe so weit gekommen bin wie etwa am Beginn der 2. Phrase, werde ich diese etwas verän- dert wiederholen. Zu Ihrer Erinnerung spiele ich nochmals die 2. Phrase . Jetzt, da ich von meinem Höhepunkt her wieder in die tiefere Lage vordringen muß, bringe ich die Phrase so: Zur weiteren formalen Abrundung wäre es hübsch, jetzt an die erste Phrase zu er- innern. Diese lautete . Nunmehr bringt ich ihren letzten Teil, eine Oktave tiefer: wodurch auch das Element der weiten Sprünge, die ich im Mittelteil be- nützte, nicht ganz in Vergessenheit gerät. Ich habe jetzt noch 4 Reihentöne übrig, die ich für eine ruhige abschließende Phrase benütze: Die ganze einstimmige Invention geht jetzt so: Ich habe die Reihe viermal benützt. Wenn ich das Stückchen jetzt nochmals spiele, werde ich die Anfangstöne der jeweiligen Reiheneintritte mit einem Schlag markieren.

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    Damit sie nicht denken, daß die einmal gewählte Reihe dem Komponisten eine Zwangsjacke anlegt, spiele ich Ihnen schnell eine andere Melodie vor, die aus genau derselben Reihe mit genau derselbe. Prozedur gewonnen wurde:

    Auch hier wurde die Reihe viermal nacheinander eingesetzt. Sie werden wohl zugeben, daß diese zweite Melodie ganz anders klingt als die erste.

    Nun werden Sie vielleicht sagen, "Das ist alles schön und gut, aber man kann doch nicht immer einstimmige Melo- dien schreiben? Was machen wir, wenn wir ausgewachsene, vollstimmige Musik schreiben wollen?" Nun, ich kann Ihnen natürlich hier in ein paar Minuten nicht einen Schnellsieder- kurs in Zwölftonkomposition geben, aber ich kann Ihnen viel- leicht kurz ein paar Hauptprinzipien andeuten. Wieder- um wollen wir mit etwas Einfachem anfangen, und wenn wir Zusammenklänge studieren wollen, ist es wohl das Einfachste, zunächst einmal zwei Stimmen zu betrachten. Wenn ich dem Fugenthema von Bach eine sinngemäße zweite Stimme zugesellen wollte, so müßte diese dem harmonischen Schema, das jenem Thema zugrundeliegt, entsprechen. Ich habe diese Harmonien anfangs angedeutet, und meine zweite Stimme würde etwa so aussehen:

    Das kommt für uns nicht in Frage, da wir gemäß unserer Voraussetzung No. 1 keine tonale Harmonie erzeugen wollen.

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    Unsere zweite Stimme ist also frei von harmonischen Bindun- gen solcher Art. Es muß aber doch irgend etwas geben, das die Intervalle, die zwischen den beiden Stimmen entstehen werden, kontrolliert. Dazu läßt sich nur so viel sagen, daß die Inter- valle, die möglich sind, verschiedene Spannungsgrade aufweisen, je nachdem ob sie, um einen traditionellen Begriff zu ver- wenden, mehr konsonant oder mehr dissonant sind. Wir werden die schärferen Intervalle benützen, um betonte Elemente und Höhepunkte herauszuarbeiten, und die mil- deren Intervalle, wenn die Intensität der Musik abflaut. Das ist natürlich nur eine Richtlinie, die man nicht allzu pedantisch verfolgen darf. Oktaven werden wir ganz ver- meiden, da das leere Intervall der Oktave den Fluß der Musik zu einem gänzlichen und unwillkommenen Still- stand zu bringen scheint. Ich habe nach diesem Prinzip zu der ersten Melodie, die ich gespielt habe, eine zweite Stimme geschrieben, in der natürlich auch wieder nur die von uns gewählte Originalreihe verwendet wird u. zw. gleichfalls vier mal. Hier ist das Resultat:

    Sie konnten hören, daß die neue, untere Stimme gelegentlich charak- teristische Motive der ersten imitierte, so etwa hier ____ Im übrigen haben wir es mit einem freien Kontrapunkt zu tun. Dadurch, daß die zweite Stimme dieselben Ton- und Intervallfolgen durchläuft wie die erste, haben wir eine Einheitlichkeit der Gesamtstruktur erzielt, die anders vielleicht nicht leicht zu bewerkstelligen wäre.

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    Ich bitte Sie nun nicht etwa zu denken, daß alle Zwölftonmusik so ge- schrieben wird, daß der Komponist erst eine Melodie schreibt und dann eine zweite dazu gibt, und dann vielleicht eine dritte, und so weiter. Ich habe dieses Verfahren hier nur angewendet, um Ihnen zu zeigen, wie die Sache funktioniert. Es handelt sich hier um elementare Übungs- beispiele, wie ich sie im Unterricht verwende. Wenn man richtige Musik von reichhaltigerer Beschaffenheit schreiben will, kann man die Reihen auch anders verwenden, etwa mehrere in der Reihe auf- einanderfolgende Töne zugleich anspielen, und die Reihe von einer Stimme zu der anderen hinüberwechseln lassen und neue Ein- tritte der Reihe bringen, bevor die vorhergehenden zu Ende gekom- men sind. Hören sie das folgende kurze Beispiel:

    Auch hier kommt unsere Reihe viermal vor, wie in den früheren Beispielen, und zwar folgendermaßen: am Anfang werden die ersten drei Töne zusammen gespielt __ . Die linke Hand führt fort mit 4, 5 und 6 ___. Dann spielt die rechte Hand wiederum 3 Töne zusammen, nämlich 7, 8 und 9. Die linke Hand geht gleichzeitig weiter mit 10 und 11 Der letzte Ton kommt wieder in der rechten Hand __ Hier sind alle zwölf ___. Jetzt beginnt die rechte Hand wieder mit 1 und 3 , die linke spielt 2, während der 11. Ton noch gehalten wird ___. Dann geht die rechte weiter mit 4 und 5 und spielt 6, 7, 8 wieder gleichzeitig. Inzwischen setzt aber die linke Hand schon mit dem nächsten, dritten Eintritt der Reihe ein: 1, 2, 3 ___. Dann kommt die rechte mit der Fortsetzung des zweiten Reiheneintrittes 9, 10, 11 __ Die linke geht weiter mit 4, 5, während 3 noch gehalten wird __ Die rechte hat jetzt den letzten Ton ihrer Reihe (gis) und folgt mit 6, 7, 8, die von der in der linken Hand angefangenen Reihe über- nommen werden __. Dann spielt die linke 9, 10, 11, und die rechte fügt, 12 hinzu und geht gleich weiter zu 1, 2 des letzten Reiheneintritts. 3, 4, 5, 6 folgen in gerader Linie __. Dann spielt die rechte 7, 8 __, die linke folgt mit 9, 10, 11 gleichzeitig, wozu die rechte 12 hinzu- setzt, und das Stückchen Musik ist zu Ende. Diese Analyse ist unverhältnismäßig viel komplizierter als die Musik selbst. Hören Sie das Beispiel jetzt noch einmal ____

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    Wir sind aber noch lange nicht am Ende unserer Möglichkeiten ange- langt. Bisher haben wir unsere Reihe nur in ihrer Grundgestalt verwendet. Von dieser lassen sich nun einige andere Formen ab- leiten, die neue Tonfolgen aufweisen, jedoch die Intervall- folgen der Originalreihe in anderen neuen Gruppierungen wiederholen. Die erste dieser abgeleiteten Formen ist die Umkehrung des Originals, d.h. die Intervalle des Originals werden in ent- gegensetzter Richtung abgeschritten unter genauer Beibehaltung ihrer Größe. Unsere Reihe begann mit einem Quartenschritt hinauf __ . Die Umkehrung wird daher mit dem gleichen Schritt hin- unter anfangen. Der nächste Schritt war ein Halbton hinunter, , also wird in der Umkehrung ein Halbtonschritt hinauf folgen. Dann kam eine große Terz hinauf , so daß wir jetzt eine solche hinunter bekommen und so fort. Die Um- kehrung unserer Reihe lautet: Alle Inter- valle des Originals sind da, bloß in entgegengesetzter Richtung. Natürlich sind auch alle 12 Töne da, aber in anderer Reihenfolge. Die zweite abgeleitete Form ist die rückläufige Form, auch Krebs genannt. Man erhält sie, indem man die Original- reihe vom letzten zum ersten Ton liest. Hier ist sie: Auf diese Form läßt sich wiederum das Verfahren der Umkehrung anwenden, und wir kommen so zur letzten abgelei- teten Form, der rückläufigen Umkehrung. ____ Nun können wir in der Erweiterung unseres Grundmaterials noch einen Schritt weiter gehen, indem wir die vier Grundformen der Reihe im Raum verschieben, oder wie der Musiker sich ausdrückt, sie transponieren. Wir können unsere Reihe, die mit d anfing, unten Beibehaltung der Intervalle, etwa einen halben Ton höher setzen und mit es anfangen. Dann heißt sie so: Wir können mit e anfangen ___, oder mit f, und so weiter. Das kann man elfmal machen, denn dann haben wir unsere Reihe auf alle Stufen der chromatischen Leiter versetzt. Wenn wir dieses Verfahren auf alle

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    vier Grundformen anwenden, so haben wir ein Arsenal von 48 Grundgestalten zur Verfügung, die wir in unserer Komposition benützen können. Wenn Sie bedenken, was wir alles schon mit einer einzigen Zwölftonreihe machen konnten, können Sie ermes- sen, daß wir uns in unserer Arbeit über Begrenzung und Ein- engung kaum zu beklagen haben werden.

    Leider würde es viel zu weit führen, wenn ich versuchen wollte, Ihnen Beispiele von Kompositionen mit allen diesen Reihen- formen vorzuführen. Hier muß ich Sie schon auf die Literatur der Zwölftonmusik verweisen, von welcher dieser Sender Ihnen ja erfreu- licherweise eine schöne Auswahl zugänglich macht. Versuchen Sie nicht etwa, beim Anhören solcher Musik die Eintritte der Reihen stellig zu machen. Sie haben gesehen, daß das selbst bei einfachen Beispielen kaum möglich ist. Aber darauf kommt, es auch gar nicht an. Zwölftonmusik muß genau so angehört und genossen werden wie jede andere Musik. Wenn ich Ihre Neugierde befriedigt habe, indem ich Ihnen zeigte, wie's gemacht wird, so will ich dessen zufrieden sein, und Sie können getrost vergessen, was ich Ihnen erzählt habe.

    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    Zwölftontechnik für Baden-Baden SWF

    Untertitel

    [Vortrag für eine Radiosendung des SWF]

    Vortragsdatum

    1951-09

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    10

    Signatur

    LM-215

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Zwölftontechnik, Musikvermittlung
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