Zum 75. Geburtstag

Abstract

In einer Kreneks 75 Geburtstag würdigenden Radiosendung des Bayerischen Rundfunks blickt der Komponist in einer Metaphern-Sphäre der Berge und des Wanderns auf sein eigenes Schaffen zurück. Seine stärker rezipierten Werke der mittleren 1920er Jahre, d.h. seine Oper „Jonny spielt auf“, op. 45 und der Liederzyklus „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“, op. 62 beschreibt er aus kritischer Distanz als „Niederung“ bzw. als „beliebten Ausflugsort“ in einer „von den Tritten zahlloser Touristen eingeebnete Musiklandschaft“. Erst mir seinen zwölftönigen Werken (ua. „Karl V.“, op. 73, Lamentatio Jeremiae Prophetae, op. 93), verwendet er „Gipfel“-Metaphern, während die Werke seiner serielle Schaffensphase zu schwierigen Kletterpassagen am Weg zu weiteren Gipfeln werden.

    Zum 75. Geburtstag. Für den Bayerischen Rundfunk (1975)

    Dem Bergsteiger wird empfohlen, beim Auftrag nicht so sehr zurück- zublicken und sich in der Befriedigung über das schon Vollbrachte zu sonnen, sondern seinen Blick auf den zu erreichenden Gipfel zu richten und das noch zu Leistende im Auge zu behalten. Wenn man ein das menschliches Leben naheliegenderweise mit einer Bergtour vergleicht, so ist es nicht immer ganz leicht, jenen Rat zu befolgen, da man nie ganz sicher sein kann, ob es bergauf oder bergab geht. Man weiß nicht, was einem bevor- steht - ob man einer verlockenden Anhöhe zustrebt oder vertrauensvoll in den Abgrund marschiert. Meinen Jahren nach bin ich wohl schon weit genug heruntergekommen, um mir einen Rückblick leisten zu können. der

    auf zurückgelegte Berg- und Talstrecken

    Bei besonders gutem Wetter kann man in der Ferne einen Gipfel ausnehmen, der in den Archiven als "Jonny spielt auf" verzeichnet ist und denen vielen, die davor standen, ungeheuer hoch erschien. Das Eigen- tümliche an dieser Geographie ist, daß derselbe Gipfel anderen Betrachtern als eine verächtliche Niederung vorkam, in die sich ein strebsamer Modernist nicht hätte verirren sollen. Sie fanden, daß die in in Aufführungs - und Tantiemenziffern meßbare Höhe mit einem Abstieg in ein künstlerisch minderwertiges Niederland zu teuer bezahlt erkauft war. Während ich den weltlichen Erfolg jener Oper keinerwegs kalkuliert hatte und von ihm ebenso überrascht war wie Freund und Feind die Umwelt, will ich nicht leugnen, daß ich mich ab und zu am Rande der Unterwelt der U-Musik getummelt habe - in meiner Jugend aus purem Übermut, viel später, in einer amerikanischen Not- lage in der Hoffnung, diese mit solchen Versuchen beheben zu können - in beiden Fällen ohne jeden Erfolg, was die von Artur Schnabel oft aus- gesprochene Warnung zu bestätigen schien, nämlich, daß man keine Aus- flüge unter sein Niveau machen kann. Meine Freunde in der Unter- welt werden sich beschweren, daß sich darin wieder jener elitistische Hochmut ausspricht verrät, der die Stockwerke im Haus der Musik so un- gerecht zu verteilen sucht. Ich weiß freilich, daß viele dieser Freunde nichts sehnlicher wünschten, als einmal eine Symphonie zu schreiben, die ihnen ein Plätzchen in der Bel-Etage der E-Musik verschaffen würde. Auch ihnen war kein Erfolg beschieden, was zu be- weisen scheint, daß man Ausflüge nach oben gleichfalls unmöglich sind.

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    Wie dem auch sei, heutzutage, wo die U-Musik immer weniger unterhaltend wird und die E-Musik sich mehr und mehr in extravaganten Spässen ergeht, spielt das keine große Rolle mehr, da man hoch und tief kaum mehr unterscheiden kann.

    In jenen Jahren erstieg ich eine andere Anhöhe, die zu einem sehr beliebten Ausflugsort wurde: das Reisebuch aus den österreichischen Alpen, und manche Freunde meinten, ich hätte in dieser Landschaft Gegend bleiben und andere ihrer Erhebungen erforschen ersteigen sollen. Meine Leistung war vielleicht unscheinbar, aber doch nicht unbeträchtlich, wenn man bedenkt, wie überlaufen und von den SchTritten zahlloser Touristen eingeebnet diese Musik-Landschaft war. Ich wandte mich alsbald einem berüchtigt schwierigen Teil des Ge- birges zu und erreichte einen Gipfel, der allgemein als solcher anerkannt wurde und den ich für einen der bedeutendsten in meiner Karriere halte: das Opernwerk Karl V. In derselben Linie liegt das Sechste Streich- quartet und Zwölf Variationen für Klavier, in denen ich meine Kletter- technik im Zwölftongestein zu einer gewissen Perfektion brachte. Auch die Lamentatio Jeremiaeh Prophetae gehört hierher, die ich als Gipfelleistung hochschätze wegen der weltabgewandten Innerlichkeit und Konsequenz dieses Werkes. Von hier aus gewann ich auch den ersten Blick auf ein Gebiet, das ich mehr als zehn Jahre später erforschen sollte - das Land der seriellen Musik. Die Kamine, Traversen, Grate und Türme in diesem Bereich sind so schwerig, daß manche, die sich darin versucht haben, heute verlauten lassen, man hätte diese Zone über- haupt vermeiden sollen. Immerhin habe ich dort ein paar verruchte Gipfel bezwungen, vor allem Sestina und Quaestio temporis. Auch manches spätere Werk hat in meiner Sicht dies characteristischen Züge eines Höhepunktes, Originalität der Problemstellung, hier erreichte Niveau ge- halten. Ich nenne als mir besonders nahestehend die Oper Der Goldene Bock, in welcher ich die immanente Absurdität des Opernwesens zum zum bewegenden Prinzip des Werkes zu machen und auf die Spitze zu treiben suchte. Das Gebiet, das in dem ich durchreiste, ist wohl so entlegen, daß meine Touren wenig beachtet wurden. Die Feldstecher der Bericht- erstatter waren völlig gefesselt von den Klettereien, die sich auf weit harmloseren Ebenen begaben, und die Landkarten, die auf denen ich meine Kreuz- und Querfahrten verzeichnete, wurden kaum unter die Lupe genommen. , Ob ich schon durch manches dunkle Tal zu wandern hatte, der Herr war mein Hirte und so hat ein freundliches Geschick mich immer wieder auf eine zu Anhöhen geführt, auf die ich nicht ohne Genugtuung zurück- blicken darf.

    Vielleicht deshalb schien die Spätlese, die ich auf des Lebens Abhang kelterte, manchen, die sie verkosteten, einen etwas bitteren Nachgeschmack zu haben. Doch Jahre hat sie sich als vollmundiges Gewächs erwiesen und sich den früheren Jahrgängen würdig angereiht. Grate, Kamine, Traversen, Türme

    Scenes fr. the West Four choruses w. organ Propr. M. Innocentium Sonata f. Viola & Piano

    By the Sepulchre On Mt. Olivet 126th Ps. from 103rd Ps.

    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    Zum 75. Geburtstag

    Untertitel

    [Vortrag] für [den] Bayrischen Rundfunk

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    3

    Signatur

    LM-198

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Autobiografie
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