Schönberg's Violinkonzert für Köln

Abstract

In dieser kurzen Werkeinführung – vermutlich für eine Übertragung des Violinkonzerts von Arnold Schönberg, op. 36 im Radioprogramm des WDR im Jahr 1963 – erläutert Ernst Krenek die Umsetzung der Zwölftontechnik in diesem Werk. Mit mehreren Hörbeispielen demonstriert er die verwendeten Tonreihen und deren Modifikationen und wie sich aus diesem musikalischen Material unterschiedliche Charaktere gewinnen lassen. Er beendet seine Ausführungen mit einer kurzen Beschreibung der formalen Aspekte des dreisätzigen Werks.

    Schönberg, Violinkonzert für Köln Anz.

    Wie bei den meisten späteren Werken von Arnold Schönberg, inter- essiert auch bei dem 1939 erschienenen Violinkonzert opus 36 viele Hörer die Frage, wie es in diesen Werken mit der Zwölftontechnik steht. Wie Bekanntlich beruht diese Technik darauf, daß der Kompo- nist seinem Werke ein gewisse Anordnung der zwölf verschiedenen Töne unserer chromatischen Skala zugrunde legt und dann aus dieser Zwölftonreihe die gesamte Struktur der Komposition, ihre Melodien, Akkorde, Themen u.s.w. entwickelt. In so kom- plexen Werken wie dem vorliegenden Konzert ist es nicht immer ganz leicht, die zugrundeliegende Zwölftonreihe sogleich aufzu- finden. Um sie deutlich zu Gehör zu bringen, wählen wir zu- nächst eine Stelle aus der Kadenz des ersten Satzes, wo die Solovioline eine geraume Zeit allein, ohne Begleitung, spielt. Die Reihe tritt hier in zwei aufeinanderfolgenden Phrasen von identischer rhythmischer Beschaffenheit auf, und jede Phrase enthält sechs Töne der Reihe. Wenn Sie aufmerksam zuhören, können Sie leicht feststellen, daß wir alle zwölf Töne hören. Hier ist das Beispiel: (T. 233, p. 35)

    Wir können die Reihe ebenfalls deutlich wahrnehmen in der langgestreckten Melodie, mit der die Sologeige den zweiten Satz eröffnet, allerdings hier mit orchestraler Begleitung. Die Reihe erscheint hier in einer abge- wandelten Form, nämlich in der Umkehrung, und auch auf einer anderen Tonstufe. Wenn Sie sich Sie erinnern sich vielleicht, daß in unserem ersten Bei- spiel der erste Tonschritt ein Halbtonschritt hinunter war: as - g. Der erste Tonschritt in dem jetzt folgenden Beispiel ist ein Septimensprung hinunter: e-f, der in Bezug auf Tonfolge äquivalent ist einem Halbtonschritt hinauf: e-f. Das heißt also, daß der erste Tonschritt der Reihe hier in umgekehrter Richtung auftritt. Da dieses Verfahren auf alle folgenden Tonschritte konsequent an- gewendet wurde, haben wir es hier mit der Umkehrung

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    der Originalreihe zu tun. Fast alle Töne der Reihe werden mehrfach wiederholt, die letzten drei Töne zweimal als Gruppe und die letzten zwei viermal, wodurch sich der weitausgespon- nene Bogen dieser Melodie ergibt. In der Begleitung ist er- scheint wiederum die Originalreihe, ebenfalls auf einer neuen Tonstufe, doch läßt sich das nicht leicht ausnehmen, da jeweils drei bis vier Töne der Reihe in Akkorde zusammengefaßt gleichzeitig erklingen. Hören Sie jetzt den Anfang des zweiten Satzes: (T. 266-280). Am Anfang des ersten Satzes ist die Reihe verteilt zwischen Sologeige und Orchester, ebenfalls in zwei Phrasen, so zwar, daß die Geige in jeder Phrase zwei Töne hat, nämlich den charakteristischen Halbtonschritt, der die Reihe eröffnet, während das Orchester die restlichen vier zu jeder Reihenhälfte bei- steuert. Den ersten zwei Phrasen folgen zwei weitere korrespon- dierende, in denen die gleiche Aufteilung von zwei plus vier auf die Umkehrung der Reihe angewandt ist. Hier ist das Beispiel (T. 1-8). Auch am Anfang des letzten Satzes trägt die Sologeige die mit dem Halbtonschritt abwärts beginnende Reihe vor, wiederum mit zahlreichen Ton- und Tongruppenwiderholungen, (T. 474-481) Aus diesen Beispielen konnten Sie ersehen, daß sich aus derselben Reihe sehr verschiedene thematische Charaktere bilden lassen. Die Prinzipien der Reihenbehandlung, die ich Ihnen hier zu demonstrieren versucht habe, sind die gleichen in allen Teilen des Werkes und in seinem ganzen Verlauf. Freilich werden oft mehrere Reihenformen gleichzeitig ge- bracht und so kunstvoll ineinander verschränkt, daß sich viele sehr komplizierte Situationen ergeben, die nicht so leicht zu analysieren sind wie die bisher zitierten.

    Nun noch ein paar Worte zur Form des Werkes. Der erste Satz hat gewisser Züge, die der klassischen Sonatenform

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    verwandt sind, ohne dieser im Detail zu folgen. Man kann zwei einigermaßen kontrastierende thema- tische Charaktere unterscheiden. Hier ist das erste Thema, von dem Sie den Anfang schon gehört haben. (T. 1 - 23) Das zweite Thema wird von den Or- chestergeigen getragen (T. 61-67). Wie meist in der Zwölftonmusik, werden auch hier diese Themen stets sogleich den von den Klassikern her bekannten Durchführungsprozessen unterworfen. An Stelle des eigentlichen Durchführungsteiles haben wir einen scherzo-artigen Abschnitt von kontrastierendem Charakter und Rhythmus (T. 93-108)

    Der zweite Satz ist eine Art Rondo. Dem ersten Gedanken, den wir schon gehört haben, folgt ein zweiter von mehr leidenschaftlichem Charakter (T. 307-318) Nach einer ziemlich bewegten Episode wird das erste Thema kurz berührt. Der leidenschaftliche Teil kommt wieder und der Satz klingt mit dem ersten Thema aus.

    Auch der letzte Satz ist ein Rondo, dessen Hauptthema wir schon zitiert haben. Die mit ihm alternierenden Abschnitte sind wiederum nicht so sehr kontrastierende Themen als durch- führungsartige Abwandlungen des früheren Materials. Besonders in diesem Satz ist die eigentümlich strahlende Orchestration zu beobachten, die dem ganzen Werk etwas wie einen Gold- grund verleiht. Besonders eindrucksvoll ist die Coda, in welcher nach einer langen, spärlich begleiteten Kadenz der Sologeige plötzlich das volle Orchester mit einem starken Schlagwerk- effekt einbricht und das Hauptthema zum letzten Mal vorträgt. (T. 711-Schluß)

    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    Schönberg's Violinkonzert für Köln

    Untertitel

    [Vortrag für eine Radiosendung des WDR]

    Vortragsdatum

    1963

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    3

    Signatur

    LM-173

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Neuklassizismus, Zwölftontechnik
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