Quintona Einführung

Abstract

Für den Freien Sender Berlin nahm 1966 Ernst Krenek ein paar einführenden Worte zu seiner elektronischen Komposition “Quintona”, op. 190 auf. Darin geht er auch ausführlich auf die technischen Aspekte des Komponierens mit elektronischen Klängen ein.

Aus biographischer Perspektive ist außerdem interessant, dass Krenek sich ungefähr zur selben Zeit mit der Einrichtung eines privaten Studios beschäftigte, dessen Herzstück sein „Buchla“-Synthesizer der Serie 100 werden sollte. In der Radiosendung zeigt er gerade an der technischen Weiterentwicklung der Synthesizer von den Vakuumröhren zu Transistoren besonderes Interesse, weil diese auf viel kleinerem Raum unterzubringen sind, und weitere Vorteile haben, die dadurch für ein Privatstudio geeignet machen.

    SFB Quintona Einführung

    Das elektronische Werk, das hier vorgeführt wird, habe ich im Winter 1965 im Studio der Brandeis Universität in der Nähe von Boston, Massachusetts, realisiert. Dieses Studio ist im Vergleich zu manchen neueren Installationen dieser Art vielleicht als etwas primitiv oder alt- modisch zu bezeichnen. Es ist jedoch, wieder im Vergleich an anderen, ungeheuer verwickelten Kom- plexen, sehr klar und intelligent angelegt und auf die Bedürfnisse des Komponisten hin orien- tiert. Für interessierte Kenner will ich hinzufügen, daß die Klänge durch zwölf Oszillatoren produziert wurden, die sich auf die drei gebräuchlichen Wellen- typen (Sinus, Rechteck, Sägezahn) schalten lassen. Sie sind mit einer Tastatur verbunden, so daß man bis zu zwölf Schichten gleichzeitig aufneh- men kann. Rausch- und Impulsgeneratoren, Ring- modulator und Hallraum sowie die üblichen Filter vervollständigen das Instrumentarium. Ein besonderer Apparat, den ich sonst nirgends angetroffen habe, macht es mög- lich, vier Bandschleifen gleichzeitig über vier Rollen laufen zu lassen, wobei die Geschwindigkeit jeder Rolle während des Ablaufs nach Wunsch reguliert werden kann.

    Wesentliche Fortschritte in dieser Art elektro- nischer Musikproduktion wurden durch den Über- gang von den an sich schon sehr kleinen Vakuum- röhrchen auf die winzigen Dimensionen der Trans- istoren ermöglicht. Der Inginieur, der das Brandeis

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    Studio entworfen hat, ist jetzt in Toronto, Canada, wo er, ohne mehr Platz in Anspruch zu nehmen, seine Anlage mit hundert Oszillatoren aufgebaut hat. Solche technische Verbesserungen haben dazu ge- führt, eine Apparatur zu entwickeln, an der der elektronische Komponist ganz besonders inter- essiert ist. Sie ist auf einfach zu bedienen und instand zu halten, in einem häuslichen Studio- raum leicht unterzubringen, äußerst leistungs- fähig und vor allem nicht unerschwinglich.

    Das ist eine wesentliche Errungenschaft für den Komponisten, der nicht in der Lage ist oder nicht willens ist, weder Zeit noch Lust hat, sich für unbestimmte Zeit an dem Standort der in Rundfunk - oder Lehranstalten etablierten großen Maschinerien anzusiedeln. Hier haben in Amerika in den letzten Jahren vor allem die Ver- suche, die elektronische Rechenmaschine, hier Com- puter genannt, in die Musikproduktion einzubeziehen, zunehmendes Interesse erregt. Wie es schon beim Synthesizer der Fall war, sind auch hier die ersten Experimente von Inginieuren gemacht worden, die sich am Wochenende von ihren der Weltraumrakete gewidmeten Bestrebungen Anstrengungen mit harmloser Spielerei erholen wollten. Da sie von Musik so gut wie nichts verstanden (was sie auch ruhig zugaben), blieben die Kompositorischen Möglichkeiten dieser Verfahren zunächst verborgen. Heute gibt es neben der ersten, von der Bell Telephone Company entwickelten solchen Anlage, die jetzt an der Universität Princeton in Betrieb steht, eine Reihe solch dieser Installationen in verschiedenen Stadien der Vollendung.

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    Die Computer Komposition unterscheidet sich von den älteren Methoden vor allem dadurch, daß die Klänge nicht durch Frequenzgeneratoren erzeugt werden. Die Musik muß zunächst in der dem Com- puter verständlichen binarischen Symbolsprache auf IBM Karten dargestellt werden, was mit Hilfe einer Art Schreibmaschine gemacht wird. Ferner muß ein weitläufiges Programm entworfen werden, das die Ma- schine darüber belehrt, wie die auf den Karten ver- zeichnete Instruktion zu verstehen ist, welche Opera- tionen die verschiedenen Zahlenkombinationen an- zeigen, welche Parameter sie betreffen, u. s. f. Wenn nun die Karten durch den Computer laufen, speichert dieser die erhaltenen Befehle als elektronische Impulse auf einem magnetischen Band auf. Dieses muß dann durch einen speziell dafür konstruierten Umformer laufen, der diese sozusagen abstrakten Impulse in die zur eigentlichen Klangerzeugung notwendigen Partikelkonstellationen des Tonbandes verwandelt.

    Was immer die Vorteile dieses Verfahrens sein mögen, einer der wesentlichen Nachteile besteht darin daß der Komponist die geplanten Klänge erst hört wenn sie auf dem als Endprodukt eines ungeheuer komplizierten Arbeitsganges erscheinenden Tonband aufgezeichnet sind. Will er dann etwas korrigieren so muß er so und so viele seiner IBM Karten (deren es für eine kurze Strecke Musik ein paar tausend gibt) austauschen und von vorn anfangen. Auch ist die Herstellung eines Programms für den Computer eine ungeheuer langwierige und mühselige Arbeit. Im übrigen ist mir bisher nicht aufgefallen, daß die so Klang geschaffene Klangwelt sich von der mit den älteren Methoden zugänglichen wesentlich unterscheidet,

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    Meine elektronische Komposition hat den Titel Quintona, eine willkürliche Variante des ebenso fik- tiven Titels Quintina. Damit hat es folgende Bewandtnis: Während ich an dem elektronischen Stück arbeitete, war ich auch mit einem anderen Projekt befaßt, nämlich einem Stück für Singstimme, deren Klanghintergrund abwechselnd zwischen instrumentalen und elektronischen Elementen abwechseln sollte. Das Gedicht, das ich für diese Komposition schrieb, hat eine Form, die von der der altehrwürdigen Sestina abgeleitet ist. Die Sestina hat sechs Strophen mit je sechs Zeilen, und das Werk in jeder Strophe stehen dieselben sechs Worte am Ende der sechs Zeilen, jedoch jedesmal in einer anderen von einem vorgefaßten Rotationsplan regulierten Reihenfolge. Das ist, modern gesprochen, ein durchaus serielles Konzept, und deshalb hat mich die Form der Sestina immer wieder interessiert, seit ich mit mich mit serieller Musik zu beschäftigen begann. Im vorliegenden Fall wollte ich kein so langes Gedicht haben, und so wandte ich das Rotationsprinzip der Sestina auf eine fünfzahlige Struktur an - daher der Titel Quintina. So wie meine erste Sestina von 1957 ist auch die Quintina ein philosophisches Gedicht; es befaßt sich mit der Beziehung von Musik und Sprache. Es sei noch erwähnt, daß seine der serielle Charakter seiner Form noch dadurch betont stärker hervorgehoben ist dadurch, daß auf den betonten Silben jedes der fünfhebigen Blankverse die unsere fünf Vokale stehen und daß auch diese ihre Plätze nach einem gewissen Prinzip tauschen. Für die elektronischen Teile der Quintina-Musik habe ich nun bestimmte Abschnitte des gleichzeitig entstehenden elektroni Tonbandes verwendet, und um dieses von jener zu unterscheiden und gleichzeitig ihre Verwandtschaft anzu- deuten, das elektronische Stück Quintona genannt.

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    Die musikalische Gestaltung der Quintona folgt keinem seriellen Plan. Während das elektronische Medium in seinen Anfängen eine ganz besonders strenge Festlegung aller meßbaren Größen zu er- möglichen und nahezulegen schien, bin ich später zu der Auffassung gelangt, daß es ungünstig wäre, die sich oft während der Arbeit mit den klang- erzeugenden Mitteln ergebenden unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Klangphänomene durch zu starre Festlegungen im Voraus auszuschließen. Gerade das elektronische Komponieren ermöglicht einen anderswie nicht zu erreichenden Grad der Freiheit der Erfindung. Wenn Partitur und Stimmen eines Orchesterwerks vorliegen, ist es unmöglich, in einer OrchesterProbe etwa zu versuchen, wie ein Klang sich ausnehmen würde, wenn man statt zwei Klarinetten und Vibraphon vielleicht fünf Saxophone Marimba und Gitarre einsetzen würde. Am Im elektronischen Studio kann man natürlich jeden Klang beliebig lang, ganz sorgfältig und delikat im äußersten Detail modifizieren, bevor man sich entschließt, ihn auf dem Tonband festzuhalten.

    Das Gesamtkonzept der Form der Quintona lag natürlich vor, bevor die Arbeit begann. Dann wurden die Klangelemente für die Angel- punkte dieser Form geschaffen, und danach ging es an das allmähliche Ausfüllen der Ein- zelheiten in dem sich nach und nach verengenden Rahmen. Ich denke mir, daß diese Methode einiger-

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    maßen mit der Arbeitsweise des Malers ver- glichen werden kann.

    Das Stück beginnt mit einer Art Einleitung, in der ein Vierton- oder Vierklangmotiv exponiert wird, das dann die Angelpunkte der Form ver- knüpft. Es folgt eine Art ein Abschnitt kontrapunktischer Art dessen perspektivische Schattierungen in einer Stereo- darstellung klarer hervortreten. Eine Ein paar Akkorde über weißem Rauschen führen zum ersten Höhepunkt. Diesem folgt ein ruhig gedehnter Ab- schnitt mit zarten Akkorden Klangclusters über Klo Ketten von Klopflauten. Ein zweiter kontrapunktischer Abschnitt, der das Viertonmotiv variiert, führt zu der stark bewegten zentralen Sektionen, die in einer Art von Schrei gipfelt. Hier habe ich mehrfach die Bandschleifenvorrichtung mit fortgesetzter Beschleunigung verwendet. Ein zweiter ruhiger Abschnitt steht symmetrisch zum ersten. Jener erste Höhepunkt wird wiederholt und ist gefolgt von einer Coda. Diese ist eingeleitet von einem be- sonderen Effekt, den ich dadurch erzielte, daß ich meine zwölf, auf verschiedene Frequenzen eingestellten Oszillatoren individuell eingeschaltet ließ, während die Strom- zuführ für das ganze System abgestellt war. Wenn dann der Hauptschalter aufgedreht wurde, begannen die einzelnen Oszillatoren sich nach und nach mit eigen- tümlichen Schleif- und Heultönen einzuschwingen. Die neun Minuten der Quintona Musik haben ungefähr, einhundert Stunden Arbeitszeit erfordert.

    10 1/2 min.

    Autor

    Ernst Krenek

    Titel

    Quintona Einführung

    Untertitel

    [Vortrag für eine Radiosendung des SFB]

    Sprache

    de

    Material

    Papier

    Seiten

    6

    Signatur

    LM-162

    Edition

    Digitale Edition in der Erstfassung 2024

    Lizenz

    CC BY-NC-ND 4.0

    Herausgeberin

    Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung

    Bearbeiter

    Till Jonas Umbach

    Fördergeber

    Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

    Schlagwörter

    Elektronische Musik
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