In eigener Sache…
Abstract
Ernst Krenek diskutiert in diesem Beitrag für Radio Bremen, gesendet am 19. Oktober 1955, aus der Perspektive eines zeitgenössischen Komponisten die Situation der Neuen Musik und ihrer Schwierigkeiten beim Publikum und bei den Konzerthäusern. Er geht dabei auf Unterschiede zwischen Europa und den USA ein und berührt Fragen der Rezeption und Kanonisierung von Musik.
In eigener Sahce sprechen - diese Wendung erinnert mich irgendwie
an einen Angeklagten, der sich keinen Verteidiger leisten kann oder
vielleicht denkt, dass er sich ohne bezahlte Rechtshilfe besser aus
der Affaere wird ziehen koennen. Nun habe ich bei diesem vierten
Besuch von
Beide Wege sind zugegebenermassen schwierig, und wenn die Dispo-
sotion dazu nicht von Natur vorhanden ist, bedarf es viel guten Wil-
lens und mancher Muehe, sie zu versuchen. In
Verstaendniss aufbringen. Dort geht man von dem Grundsatz aus, dass
die Kundschaft immer recht hat, und die Kundschaft wird sagen: mein
lieber Herr, wenn Sie glauben, dass ich Vorurteile habe, so nehmen
Sie diese gefaelligst zur Kenntnis und richten sich danach, wenn Sie
mir die Ware anbieten. Das beruht auf der Vorstellung, dass der End-
zweck jeder Taetigkeit darin besteht, ihr Produkt an den Mann zu brin-
gen. Wenn das nicht gelingt, so ist die Taetigkeit verrueckt oder
beinahe frevelhaft. Wenn der Ausdruck "Wahrheit" in diesem Zusammen-
hang ueberhaupt gebraucht wird, so ist er nur ein vornehmes Wort fuer
Zweckmaessigkeit, und zweckmessig ist alles, was dazu dient, fuenf
Pfennig oder fuenf Millionen von einer Tasche in die andere zu befoer-
dern. Die Diktatur des Konsumenten ist freilich dadurch begrenzt, dass
er einerseits das Objekt der ungeheuren Anstrengungen jener ist, die
sich seiner fuenf Pfennig zu bemaechtigen trachten und andererseits
von wenigen Ausnahmen arbeitslosen Einkommens abgesehen, selbst
etwas produzieren und absetzen muss, um jene fuenf Pfennig zu erwer-
ben, auf die es seine Mitarbeiter abgesehen haben. Vorurteile sind
hier nicht bedenklich, sondern erwuenscht, denn um profitabel
befriedigt zu werden, muss ein Geschmack erst einmal fest und in
genau messbarer Form bestehen. Um ganz sicher zu gehen, schafft man
den Geschamck mit Hilfe von sorgfaeltiger Propaganda, wodurch
unvorhersehbare, auf unbefangener Wertschaetzung beruhende Gefuehls-
reaktionen erfolgreich ausgeschaltet werden. Dieses Bild einer
Kunstwelt, deren Gedeihen auf dem fortgesetzten Umsatz standardisier-
ter Artikel beruht, trifft nicht bloss auf den den Managern und
Verwaltern des Kunstbetriebes entworfen, die hier wie dort darauf
achten muessen, wie die erheblichen Unkosten hereingebracht werden
koennen. Ein Unterschied besteht vielleicht darin, dass dort die
Manager aufrichtig genug sind, ihre Vorstellung vom geschaeftlich
durchorganisierten Kunstleben als wuenschenswertes Ideal zu preisen,
waehrend sie hier gerne vorgeben, dass ihnen die schwere Verkaeuflich-
keit der sogenannten Kulturgueter leid tut.
Das Erfreuliche ist, dass das Bild, das ich eben skizziert habe, ausserhalb des Marktplatzes gar nicht zutrifft, und der Marktplatz ist nur ein sehr begrenzter Teil des Gemeinwesens der Kunst, wenn auch der auffallendste und lauteste. Spontanes und von keinem Vorurteil und keiner Propaganda verfaelschtes Erleben spielt immer noch eine weit groessere Rolle als die Kulturpessimisten annehmen und die Geschaeftsoptimisten befuerchten.
Manche Verwirrung ensteht, wenn Figuren, die eigentlich in ande-
ren Bezirken wohnen, gelegentlich den Marktplatz kreuzen, und das
bringt mich endlich zu meiner eigenen Sache, nachdem ich so viel ueber
anscheinend ganz andere Sachen gesprochen habe. Wie man sich vielfach
noch erinnert, habe ich seinerzeit mit meiner Oper
sein muesse, durch eine Art von Urerlebnis die traditionellen Mittel in ihrer alten Frische und Unberuehrtheit wiederherzustellen. Ich will annehmen, dass mir das zu einem hohen Grade tatsaechlich gelun- gen ist. Ich erlebte jedoch, dass das nur bis zu einem gewissen Punkt moeglich war, und dass diese etwas reaktionaere Kunstphilosophie meinem Ausdrucks- und Gestaltungsbeduerfnis alsbald nicht mehr genueg- te. Ich kehrte allmaehlich zur sogenannten modernen Tonsprache zurueck, Um jedoch eine Wiederholung meiner frueheren Enttaeuschungen zu vermeiden, wandte ich mich einer Darstellungsweise zu, die das neue Material einer etwas strengeren architektonischen Kontrolle unterwarf. Ich fand die Moeglichkeiten dazu in der Zwoelftontechnik.
Zwoelftonmusik als solche erfreut sich keiner besonderen Populari-
taet, besonders nicht bei jenen, die das zahlende Publikum mit
musikalischen Eindruecken versorgen. Ihre Bedenken gruenden sich auf
die Beobachtung, dass die Leute solche Musik nicht gerne hoeren
wollen, und das sei leicht zu erklaeren, da diese Musik intellektuell
erkluegelt und mathematisch errechnet sei, und somit offenkundig ein
Verbrechen wider die wahre Natur der Musik darstelle, von der doch
jedermann wuesste, dass sie als Sprache des Herzens den kalten
Verstand ausschloesse und aus dem warmen Strom der Gefuehle ihre
wundersamen Kraefte bezoege. Wenn es wahr ist, dass die Hoerer in
weiten Kreisen sich fuer Zwoelfmusik nicht sehr begeistern, so liegt
das, wie mir scheint, nicht daran, dass sie sich der Konstruktion
dieser Musik bewusst werden und sie aus Prinzip ablehnen. Eine solche
Motivation wird ihnen erst nahegelegt, wenn sie durch Programmnotizen
und aehnliche Mitteilungen darauf gestossen werden, dass sie Zwoelfton-
musik hoeren, und durch Kritiken und Buecher darauf aufmerksam gemacht
werden, dass diese Musik widernatuerlich sei und daher abgelehnt wer-
den muesse. In Wirklichkeit reagieren die Hoerer in einer viel naive-
ren, umnittelbaren Weise. Wenn ihnen Zwoelftenmusik nicht gefaellt, so
liegt es daran, dass viel Zwoelftonmusik unbedeutend und langweilig
ist. Daran ist aber nicht die Methode schuld, nach der diese Musik
komponiert ist, sondern der Umstand, dass ein sehr grosser Teil der
MUsik, die geschrieben wurde und geschrieben wird, unbedeutend und
langweilig ist. Von den Komponisten, die waehrend der reifen Jahre
Da diese Auswahl ganz gewiss ohne Ruecksicht auf die von den Komponisten angewendeten technischen Methoden getroffen werden wird so waere es zweifellos besser, diesen bei der Entgegennahme eines Musikwerkes keine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Fuer Kochrezepte sollen sich im Wesentlichen nur Koeche interessieren - Gaeste nur dann, wenn
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es ihnen geschmeckt hat, aber nicht vor dem Essen. Im Uebrigen ist
technische Information entweder schwierig und anstrengend, oder sie
ist sinnlos. Ueber die Zwoelftontechnik wissen Laien und selbst
Fachleute so wenig wie ueber die Relativitaetstheorie, obwohl jene
viel leichter zu begreifen ist als
Radio Bremen - 1955