Rezension: Ernst Kreneks "Die Drei Mäntel des Anton K."
Nicht einmal erfahrene Leser/innen und Hörer/innen sind unbedingt mit der Novelle vertraut, die Ernst Krenek auf Deutsch geschrieben und später ins Englische übersetzt hat mit Unterstützung des Brecht-Gelehrten Eric Bentley und des Literaturagenten Barthold Fles, beides anerkannte Übersetzer. Neben anderen nützlichen Features finden sich in dieser vom Ernst Krenek Institut vorgelegten Edition von „Die drei Mäntel des Anton K. / The Three Overcoats of Anton K.“, Abbildungen des Hotelbriefbriefpapiers von Städten aus ganz Europa (S. 80). Krenek verwendete während seines notgedrungenen Umherwanderns die Rückseiten zum Verfassen der Novelle und verlieh so der Tortur der bürokratischen Hürden, mit welchen man sich als österreichischer Staatsbürger seit dem „Anschluss“ konfrontiert sah, eine literarische Form und Stimme. Denn der Pass war ungültigen geworden und man konnte auf Reisen von Land zu Land keine legitimen Papiere mehr vorweisen. „Kafkaesk“ ist der Begriff, der einem unweigerlich in den Sinn kommt, umso mehr als die Titelfigur, Anton K. - man beachte den Nachnamen mit der Initiale K.-, einen direkten Vergleich anstellt. Anton hat das Gefühl “ … als sei ich in eine Maschinerie geraten, die mich nie mehr loslassen soll und die in beängstigender Weise an die Albträume jenes Autors [Kafka] erinnert” (S. 63). Es wäre allerdings eine Herabwürdigung sein Werk als bloßes Wiederaufwärmen von Kafka zu verstehen. Andere Elemente und Ebenen dieses vielfältigen Geflechts werden hier nun gestreift.
Die bloße Fülle und Vielfalt von Kreneks Schaffen als Komponist, Belletrist, Kritiker, Lyriker, Librettist, Arrangeur, Dirigent, Pädagoge und Memoirenschreiber lässt einen leicht eine ganz bestimmte Leistung zeitweilig aus den Augen verlieren. Wie oft zum Beispiel erinnert man sich an oder stößt man auf Kreneks „Sestina“ (deren meisterhafte Dichtung wie so oft vom Komponisten selbst verfasst wurde), obwohl der Musikhistoriker Richard Taruskin das Werk als das Nonplusultra der strengen seriellen Technik anführt? Krenek veröffentlichte die englische Version seiner Novelle 1955 in einer kleinen Literaturzeitschrift und die deutsche Fassung erschien 1965 in Kreneks Band „Prosa. Dramen. Verse“, also verwundert es kaum, dass dieses zugegeben periphere – aber dennoch beachtenswerte – Werk relativ unbeachtet geblieben ist.
Den „Drei Mäntel“ als eigenständigem literarischem Werk nähere Aufmerksamkeit zu widmen, wird durch dessen inhärente Qualitäten motiviert. Der umfassende und sorgfältig erarbeitete editorische Apparat ist von unentbehrlichem Wert, um die Novelle in ihren Gesamtkontext zu stellen und eine umfassende Geschichte des Texts und seiner Herkunft zu liefern. Um der Zweisprachigkeit des Texts gerecht zu werden, ist auch der vollständige kritische Bericht in beiden Sprachen verfügbar; ein Zeichen dafür, dass eine weite Verbreitung erwartet wird - immerhin ist Krenek auf der ganzen Welt bekannt. Der Band wurde von Matthias Henke mit größter Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit herausgegeben. Er schrieb auch ein aufschlussreiches Vorwort „‘Die Passkrankheit‘ oder: Ernst Krenek und seine Novelle Die drei Mäntel des Anton K. (1938)“ / “‘Passport Sickness’ or: Ernst Krenek and his Novella Die drei Mäntel des Anton K. (1938)”: eine Zusammenstellung editorischer Anmerkungen, die gründlich in den Text sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch einführen und auch Informationen zu Bentley und Fles liefern (Zweiterer hatte mit Krenek an seinem ersten englischen Buch gearbeitet). Hinzu kommen Abbildungen von Seiten aus Kreneks ungültigem Pass und auch eine Karte, die neben dem bereits erwähnten Hotelbriefpapier, seine Wanderung durch Europa von März bis August 1938 veranschaulichen. Dieses Begleitmaterial ist im positiven Sinn ausgiebig und verankert und unterstützt den eigentlichen Text der Novelle in beiden Sprachen. Die englischen Übersetzungen des Vorworts, der editorischen Anmerkungen und der Bildunterschriften stammen von Ada St. Laurent.
“Die drei Mäntel” ist ganz gewiss Kafka nachempfunden, aber es hierbei zu belassen, würde dieser komplexen, vielschichten Erzählung nicht gerecht werden. Die endlose Schleife an bürokratischer Frustration, das Abschieben von einem Amt zum Nächsten, die Zurückweisung durch herablassende, schein-aufrichtige Beamte, die stets bereit sind Gesetzlichkeit als Hindernis auszulegen, das Reduzieren auf Gesichtslosigkeit und zehrende Einsamkeit, das Schüren und Zerschmettern falscher Hoffnungen: Leser/innen sind wohl vertraut mit diesen Aspekten aus Kafkas Erzählkunst. Dazu kommen noch gelegentliche Begegnungen die Freundschaft und andere Intimitäten versprechen, sich aber nie verwirklichen. Doch auch die Unterschiede sind bemerkenswert und zeugen von Kreneks gewandtem und anspruchsvollem Schöpfen aus anderen Quellen. Die Handlung der Novelle ist viel linearer und zusammenhängender, als dies bei Kafka üblich ist: Während die Kapitel bei Kafkas längeren Fiktionen fast beliebig umgeordnet oder vertauscht werden können, ergibt sich die Folge von Ereignissen bei den „Drei Mänteln“ aus dem vorher Passierten. Auch die Bandbreite an Ausdrucksformen ist merklich wechselhafter als bei Kafka. Es findet sich offenkundige, bissige Parodie, die, zusammen mit dem Titel von Kreneks Erzählung, stark auf eine andere epische Darstellung unmenschlicher Bürokratie hinweist: Nikolai Gogols „Der Mantel“ mit seiner gelegentlich fast clownesken Heiterkeit inmitten von Grausamkeit, ein Ausdrucksmittel, das auch Krenek gekonnt entfaltet. Bei Krenek findet sich ein beunruhigender, wirkungsvoller Humor, welcher Assoziationen zu Gogol viel eher auftauchen lässt als zu Kafka. Darüber hinaus lesen sich Anton K.s Gedanken, nachdem er die Frau besucht hatte (S. 49-50 Deutsch; S. 119-120 Englisch), wie eine eingehende Paraphrase von Dostojewskis Großinquisitor in „Die Brüder Karamasow“ mit seiner pauschalen Diagnose von alberner menschlicher Passivität. Es findet sich Groteskes, es findet sich Gefühlsüberschwang und Elend und auch eine Übernahme gewöhnlicher Handlungsschemen aus Detektivgeschichten – obwohl manche Geheimnisse ungelöst bleiben. Es wirkt auch so, als ob Krenek die unübertreffliche, pikante Ironie eines späteren Autors wie Albert Drach vorwegnehmen würde, der auf brillante Art die Rechts- und Behördensprache zu einer beinahe surrealistischen Unwahrscheinlichkeit in einem doch eindeutig scheinenden Kontext führt. Leser/innen von Romanen wie Drachs „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ werden Krenek ebenbürtig beim Verbinden von Alltäglichem und Ungeheuerlichem finden.
Abgesehen von diesen stilistischen Merkmalen, erweist sich das Ende unklar - der Teil in dem Anton K.s selbst gewähltes Schicksal am meisten von Kreneks abweicht. K. entscheidet sich, die Dokumente zu vernichten, die seine rechtlichen Probleme lösen würden und, dort zu bleiben, wo er ist. Er scheint zu diesem Zeitpunkt zufrieden zu sein, und vielleicht handelt er tatsächlich auch mit neu gewonnener Weisheit und tiefgehender Einsicht. Doch hat er nicht einfach aufgegeben, sich ergeben, die Passivität angenommen, wie die abgestumpfte menschliche Brut des Großinquisitors? Die Unklarheit lässt K.s Notlage zu einem aktiven Problem des Lesers bzw. der Leserin werden, der darüber grübeln kann, was das Ende bedeuten könnte. Nirwana oder Stockholmsyndrom? Einmal mehr und unterschiedlich zu Kafka, trifft K. in Kreneks Novelle eine bewusste Entscheidung, aber gleichzeitig auch wie bei Kafka: was sollen wir davon halten?
Da Krenek „Die drei Mäntel“ nicht ganz allein übersetzt hat, ist es nicht möglich hier ein klares Urteil über diesen Aspekt seiner Arbeit abzugeben. Er war zu dieser Zeit bestimmt schon sehr versiert in der englischen Sprache, aber nicht so sehr, dass er nicht Hilfe benötigt hätte; später wurde er noch geschickter. Er hat ausgiebig auf Englisch geschrieben: Es wird nicht vielen bewusst sein, dass er beispielsweise seine umfassende Autobiographie (erschienen als „Im Atem der Zeit“) auf Englisch geschrieben hat, die dann ins Deutsche übersetzt wurde. Krenek verwendet findige Entsprechungen, wie „furlough“ (S. 113) als „Urlaub“ (S. 42), aber warum lässt er den nächsten Begriff „Galgenfrist“ (S. 113) unübersetzt? „Peinlich“ (S. 37) als „obnoxious“ (S. 109) zu übersetzen, ist ein meisterhaftes Beispiel von le mot juste. Und dennoch gibt es auch ungeschickte Passagen, vermutlich hervorgegangen aus einem wenig erfolgreichen Versuch die Leere der Bürokratensprache einzufangen: „necessary of establishement“ (S. 117) als Parallele zu „… das die Gesellschaft für gut fand, aufzurichten“ (S. 47) ist unzureichend und schwerfällig und wird der schwülstigen Fülle des Deutschen nicht gerecht. Und „Polizist“ (S. 72) als „cop“ (S. 136) zu übersetzen, sorgt für ein holpriges Abtauchen in eine unbeabsichtigte saloppe Umgangssprache. Der Rezensent, selbst Übersetzer, findet viel zu loben, aber auch zu hinterfragen, bleibt es doch unklar wie viel von der englischen Version von Krenek und wie viel von Bentley und Fles ist. So ist es schwierig festzustellen, wer in welchem Maß zu dem uneinheitlichen Ergebnis beigetragen hat.
Es sei nebenbei angemerkt, dass die beiden Versionen nicht immer gleich sind. Im Englischen kommt Kafka nicht vor. Obwohl Kafka-Texte bereits 1927 schon in experimentellen Zeitschriften ins Englische übersetzt worden waren, ist er bis nach 1945 im englischsprachigen Raum weitgehend unbekannt geblieben. Es war daher eine nachvollziehbare Entscheidung ihn bei einer früheren Übersetzung auszulassen (siehe S. 77 und S. 139), und es war sicherlich auch nicht wesentlich ihn einzubinden, als die Übersetzung 1955 erschien, obwohl er zu dieser Zeit beim Publikum bestimmt angekommen wäre. Andere Abweichungen vom Deutschen zum Englischen ändern weder den Verlauf noch den Charakter der Erzählung, obwohl ein Vergleich zu einer interessanten Studie werden könnte.
Es ist sehr passend, dass dieser schöne Band bei einem Verlag namens Edition Memoria erschienen ist, der sich der Aufgabe verschrieben hat, Exilwerke herauszugeben. Die Ausgabe rettet „Die drei Mäntel“ / „The Three Overcoats“ aus der Vergessenheit und verankert sie fest im Mainstream des Erinnerns. In jeder Hinsicht eine herausragende Veröffentlichung; Bewunderer von Ernst Krenek sind all jenen zu Dank verpflichtet, die so fachmännisch daran gearbeitet haben.
Vincent Kling
Vincent Kling ist ein amerikanischer Literaturwissenschaftler und Übersetzer. Er ist Professor an der La Salle University, Philadelphia (Pennsylvania) und hat sich insbesondere auf österreichische Literatur spezialisiert.
(Übersetzung ins Deutsche von Alethea Neubauer)