„Meine Begegnungen mit Ernst Krenek“ von Frater Gregor Baumhof
Nach dem Abitur nahm ich das Studium der Schulmusik an der Musikhochschule Köln auf. Am 14. Januar 1971 meldete ich mich zum 1. Staatsexamen in Musik. Das Thema meiner Staatsarbeit war auf Anregung von Professor Joachim Blume, bei dem ich das Fach Werkanalyse über mehrere Jahre mit wachsender Begeisterung und mit sehr guten Erfolgen belegt hatte, eine Arbeit über die Streichquartette von Ernst Krenek. Unschuldig wie ich war, ging ich zum Musikhaus Tonger und wollte mir die Partituren besorgen. Die hatten gerade mal zwei. Enttäuscht ging ich zu Professor Blume und bat ihn um Rat. Er riet mir: „Schreiben Sie doch einfach einen Brief an Ernst Krenek!“ Die Adresse ließ sich herausfinden und ich schrieb einen Brief an Professor Ernst Krenek in Palm Springs, Kalifornien und hielt zu meiner großen Überraschung zwei Wochen später recht stolz eine überaus freundliche Antwort in Händen. Aus dieser mutigen Aktion entwickelte sich bis 1977 eine Korrespondenz mit insgesamt zwölf Briefen, die jetzt im Ernst-Krenek-Institut aufbewahrt werden. Auf Umwegen bekam ich von der Universal Edition noch das 6. und 7. Streichquartett. Das 4. aus den zwanziger Jahren war verschollen, auch Ernst Krenek wusste nicht mehr so recht, wo es war. In seiner Biografie las ich, dass er einige Zeit bei dem Mäzen der Werner-Reinhart-Stiftung in Winterthur zu Gast war. Ich meldete mich dort und fragte an, ob es in der Stiftung noch Manuskripte von Ernst Krenek gäbe. Ich erhielt freundliche und positive Antwort und auch den Bescheid, ich könne diese Manuskripte gern einsehen. Ich fuhr also nach Winterthur, von meinem Heimatort am Bodensee nur 1 Fahrstunde entfernt, wurde in einen holzgetäfelten Sitzungssaal geführt und mit einem Konvolut an Handschriften allein gelassen, darunter die Handschrift des vierten Streichquartettes! Von allen Noten durfte ich mir Xerokopien anfertigen und fuhr überglücklich wieder nach Hause. Ernst Krenek war höchst beeindruckt von meinem Fund und fragte mich, ob ich nicht sein Werkverzeichnis, das bei der Universal Edition in Wien herausgegeben worden war, ergänzen und vervollständigen wolle. Das war dann eine rechte Fleißarbeit, aber von Erfolg gekrönt. Von der Universal Edition bekam ich als Dank die Klavierauszüge der Oper „Karl V.“ und von „Jonny spielt auf“.
Ich habe Ernst Krenek insgesamt zweimal persönlich getroffen. Einmal hatte er mich nach Stuttgart eingeladen, wo er Aufnahmen seiner Werke selbst dirigierte. 1974 lud er mich zur Uraufführung seines letzten Gesangszyklus „Spätlese“ bei den Opernfestspielen in München ein. Fischer-Dieskau hob das Werk aus der Taufe, Ernst Krenek begleitete ihn am Klavier. Das war ein sehr eindrückliches Bild. In der Pause unterhielt ich mich mit seiner Frau Gladys Nordenstrom. Am nächsten Tag durfte ich mit ihm zusammen im Hotel Eden-Ernst frühstücken. Ein drittes Treffen 1978 zu einer Inszenierung seiner Oper „Karl V.“ in Darmstadt kam leider nicht zustande, weil Ernst Krenek aus Protest gegen die Inszenierung frühzeitig abgereist war. Im Laufe der Zeit habe ich aus Interesse an dieser außergewöhnlichen Gestalt fast alle Bücher von ihm und über ihn in meiner Bibliothek versammeln können.
Über meine Arbeit schrieb er in seinem Brief vom 18. März 1971: „Ihre Arbeit hat mir viel Freude gemacht. Sie ist sehr gedankenreich und dankenswert genau. Es ist ihnen gelungen, auf recht knapp bemessenem Raum einige der wesentlichsten stilistischen und strukturellen Charakteristika dieser Quartette herauszuarbeiten, was gewiss nicht leicht war, schon wegen der von Ihnen sehr überzeugend interpretierten Buntheit der Idiome und Schreibweisen. Manche Details hätten vielleicht verdient, ausführlicher dargestellt zu werden – etwa einige „Tricks“ in den Variationen des 5. Quartetts – aber ich konnte sehen, dass Sie den vorgesehenen Raum vorsichtig einteilen mussten. … Ich hoffe und wünsche sehr, dass Ihre schöne Arbeit ihren Zweck für Sie erfüllt hat und dass Ihre beruflichen Projekte erfreulich gedeihen. Mit allen guten Wünschen und besten Grüßen stets Ihr Ernst Krenek.“ Meine Staatsarbeit wurde von Seiten der Hochschule mit sehr gut bewertet. Am 20. Oktober 1971 hatte ich die erste Teilprüfung der ersten Staatsprüfung für das Lehramt am Gymnasium mit der Leistungsnote gut bestanden.
Mir ist Ernst Krenek als sehr freundlicher und mir wohlwollend zugewandter Mensch und einer klaren Haltung gegenüber dem Zeitgeist in Erinnerung, meinen Weg später ins Kloster verfolgte er mit großem Verständnis und Achtung. Ich bin stolz und dankbar, mit einem der großen Komponisten des 20. Jahrhunderts in persönlichem Kontakt habe stehen zu dürfen.
Die Originalfassung dieses Beitrags erschien in der Autobiografie von Frater Gregor W. Baumhof „Wendelin Gregorius – ein Leben aus der Hand von Frau Musica. Eine Autobiografie, Bd. 1, 1948-1958“, 2021.