Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke
Der Sprung über den Schatten
Komische Oper in drei Akten (zehn Bildern), op. 17 (1923)
Text
Ernst Krenek
Verlag / Rechte
Universal Edition
LM / KA UE 7454
Dauer
95 Minuten
Uraufführung
9. Juni 1924
Frankfurter Opernhaus, 54. Deutsches Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins
D Ludwig Rottenberg
R Walther Brüggmann
B Ludwig Sievert
Aufführungen
Santa Barbara, Kalifornien (1991, 1995)
Bühnen der Stadt Bielefeld (1989)
Aufzeichnungen
1990, cpo 999082-2, Live-Mitschnitt Oper Bielefeld, D David de Villiers, Orchester des Stadttheaters Bielefeld; Kuno: Thomas Brüning, Leonore: Lynda Kemeny, Blandine: Susan Maclean, Odette: Diana Amos, Dr. Berg: John Pflieger, Marcus: Jörg Dürmüller, Laurenz Goldhaar: Ulrich Neuweiler
Besetzung
Kuno (B), Leonore (S), Blandine (MS), Odette (S), Dr. Berg (Bar), Marcus (T), Laurenz Goldhaar (T), 8 kleinere Partien, 1 Sprechrolle
Chor – 2.2.4.3 – 3.1.2.0 – Timp, Perc (2)– Xyl, Banjo – Str
Themenkreise
Treue / Seitensprung
Hypnose / Verführbarkeit
Modetänze der 1920er Jahre
Entstehung
Der erst 22-jährige Krenek wurde durch das Sprichwort „Niemand kann über seinen Schatten springen“ inspiriert, ein Textbuch zu konzipieren, das die Wahrheit des Spruchs hinterfragen sollte. Später bezeichnete er die Oper als „jugendliches Experiment“ und meinte, Kenner von "Jonny spielt auf" würden im Sprung eine Vorstudie sehen – so unüberhörbar seien die Anleihen an die amerikanische Unterhaltungsmusik.
Ort der Handlung
Eine kleine Residenzstadt
Inhalt
Man stelle sich die "Fledermaus"-Story potenziert zum Quadrat vor, dazu eine Prise "Così fan tutte". Und insgesamt einen Situationsreigen, in welchem die Beteiligten fälschlich glauben, mit dem oder der Richtigen konfrontiert zu sein. Fünf bis sechs Personen suchen oder finden die Rechtfertigung des Seitensprunges oder den Ausweg aus beengenden Verhältnissen. Dazu braucht man: effiziente Tarnung, das Maskenspiel der Irrtümer, eine (nicht sehr spirituelle) Séance samt Tanzparkett, Rendezvous platz und Gefängnis, vor allem einen (nicht sehr echten) Hypnotiseur, der die Mitwirkenden (und gleich das ganze Volk) dazu animiert, bindende Hemmungen über den Haufen zu werfen, also über den eigenen Schatten zu springen, um erhoffte und ersehnte Liaisons zu verwirklichen. Das misslingt, wenn gleich zwei an einen heran wollen, und glückt, wenn etwa die Fürstin mit dem Dichter abhaut, woraufhin der Fürst freien Zugang zur Kammerzofe findet, aber bleibt beim Hypnotiseur vermutlich im Status quo, weil dieser, obwohl im Rollentausch mit dem Detektiv ständig Verwirrung anzettelnd, nicht willens ist, selbst aus der angestammten Rolle zu springen. (Da fehlt ihm wohl der längst verblichene Dr. Mesmer.)
Musik
Das Werk selbst ist ein umso kühnerer Schattensprung, als es sich über alle Diskussionen um die Existenzberechtigung einer Oper, wie sie damals aufkamen, in jugendhafter Unbekümmertheit hinwegsetzte.
Erscheinungsformen der zeitgenössischen Gesellschaft verbinden sich auf der Bühne mit der zugehörigen Jazzmusik, wie sie gerade up to date war.
Im übrigen aber wird die gesellschaftliche Klangwelt einer sachlich dissonanten Prägnanz ausgesetzt und mit Formen wie Rondo, Passacaglia und Fuge konfrontiert. So war genau das geschaffen, was als Zeitoper die Gemüter erregen sollte. […] Revolution, Maschine, Desillusionierung und nicht zuletzt groteske Verzerrungen machten die Dissonanz auch äußerlich sinnfällig […]
Wolfgang Rogge, Ernst Kreneks Opern
Resümee
Kreneks Jugendwerk nimmt die Gesellschaft der 1920er Jahre aufs Korn, die so sehr mit ihrem privaten Geplänkel beschäftigt ist, dass ganz nebenbei ein Hypnotiseur zum Präsidenten gemacht wird. Die revuehafte Musik bietet sich für amüsante Inszenierungen an.
Im Spiegel der Presse
Rezensionen zur Aufführung am Stadttheater Bielefeld
Süddeutsche Zeitung 31.03.1989, Frieder Reininghaus
Ernst Krenek […] entwickelte eine fröhliche Musikmischung für diese Posse: eine Melange aus freier Atonalität und Foxtrott, heruntergekommenem Operetten-Ton und neobarocker Fuge; die Musik tänzelt zwischen Rosenkavalier und Revoluzzerhaftem, zwischen Romantizismen und Revue-Sound.
Frankfurter Allgemeine Zeitung 31.03.1989, Gerhard R. Koch
Die Wiederentdeckung lohnt sich entschieden, zumal wenn es so virtuos und witzig serviert wird wie nun in Bielefeld.
Rheinisch-Westfälische Zeitung 30.03.1989, Pedro Obera
In dem 1924 uraufgeführten, seitdem in der Versenkung verschwundenen Jugendwerk des österreichischen Komponisten geht es um die Verführbarkeit der Massen durch einen hypnotisierenden Scharlatan, der es bis zum Staatspräsidenten bringt. Geheuchelte politische und zivile Moral wird aufgespießt, eingebettet in eine Verwechslungskomödie, die es an Verwirrung mit mancher italienischen Buffa-Oper aufnehmen könnte.
Neue Zürcher Zeitung 23.03.1989, Peter Niklas Wilson
Die kabarettistische Gesellschafts-parodie mit ihrer stereotypen und über-zeichneten Typologie – dekadenter Fürst, durchtriebene Kammerzofe, schmachtender Poet im Dachstübchen – wird zur zeitgeschichtlichen Groteske.
Weiterführende Literatur
Peter Tregear, Revolution in der Oper. „Die Zwingburg“ und „Der Sprung über den Schatten“, in: „Der zauberhafte, aber schwierige Beruf des Opernschreibens“. Das Musiktheater Ernst Kreneks, Claudia Maurer Zenck (Hg.), Edition Argus, Schliengen 2006, S. 31–44
Severyn Tykhyy, Musikdramaturgische Besonderheiten der Opern von Ernst Krenek der 1920er Jahre, Diss., TU Chemnitz 2001
Andreas K. W. Meyer, Dr. Bergs Ritt durch die Zwanziger Jahre.
Ernst Kreneks „Der Sprung über den Schatten“ in Bielefeld, in: Neue Zeitschrift für Musik. 48:6 (1989)
Wolfgang Molkow, Der Sprung über den Schatten. Zum Opernschaffen Ernst Kreneks in den 20er und 30er Jahren, in: Musica, 34:2 (1980), S. 132–135
Wolfgang Rogge, Ernst Kreneks Opern. Spiegel der Zwanziger Jahre, Karl Heinrich Möseler Verlag, Wolfen-büttel und Zürich 1970