Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke
Sardakai oder Das kommt davon
Oper in elf Szenen, op. 206 (1967/69, überarbeitete Fassung von Das kommt davon oder: Wenn Sardakai auf Reisen geht)
Text
Ernst Krenek
Verlag / Rechte
Bärenreiter
LM / TB BA 6038
Dauer
100 Minuten
Uraufführung
27. Juni 1970 (Erstfassung)
Hamburgische Staatsoper
D Ernst Krenek
R Leopold Lindtberg
B Rudolf Heinrich
24.09.2000 (Neufassung)
Konzerthaus Berlin (DeutschlandRadio, konzertant)
D Reinhard Schmiedel
Aufführungen
Konzerthaus Berlin (2009, konzertant)
Aufzeichnung
2006, Capriccio 60129: D Reinhard Schmiedel, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin; Sardakai: Ksenija Lucic, Urumuru: Egbert Junghanns, Dr. Adriano: Markus Köhler, Aminta: Cornelia Entling, Carlo Murbruner: Jörg Dürmüller, Heloise: Maacha Deubner
Besetzung
Sardakai, Königin von Migo Migo (S)
Urumuru, Führer der Rebellion gegen Sardakai (B)
Dr. Adriano, ein Psychoanalytiker (Bar)
Aminta, seine Freundin (MS)
Carlo Murbruner, ein Dichter (T)
Heloise, seine Freundin (MS)
zwei Geheimagenten der Königin und ein Polizist in Romadra (stumme Rollen), Passagiere, Personal im Flughafen, Eingeborene von Migo Migo (stumme Rollen nach Bedarf)
1 (Picc).1.2.1 – 1.1.1.0 – Timp, 6 Perc (incl. Vibr, Xyl, Glsp, Röhrengl, antike Zimbeln u.a.) – Cel, 2 Pft (eines davon präpariert), Hfe, eGit – Str
Themenkreise
Paraphrase auf Così fan tutte
Partnertausch, Treue
Entstehung
Ernst Krenek erhielt 1967 mit Sardakai bereits den zweiten Kompositionsauftrag von Rolf Liebermann für die Hamburgische Staatsoper (der erste war Chrysomallos /Der goldene Bock). Die Oper ist dem Auftraggeber gewidmet. Die Premiere sollte 1970 sein, was Krenek auf die Idee brachte, die Uraufführung anlässlich seines 70. Geburtstags stattfinden zu lassen. Da das Opernensemble für diesen Zeitpunkt bereits mit Mozarts Così fan tutte für das Luzern Festival gebucht war, schlug Liebermann vor, das neue Werk ebenso mit nur sechs Sängern und einem kleinen Orchester zu besetzen. Letztlich kam der Auftritt in Luzern nicht zustande und Sardakai wurde in Hamburg uraufgeführt. Krenek gefiel der Vorschlag, sich auf Mozart zu beziehen und einige Motive aus Così sowie Zitate aus anderen Werken in eine der Gegenwart angepassten Oper ironisch zu integrieren. So etwa löst die am Beginn aus einem Kofferradio eingespielte Arie Don Alfonsos erst die Handlung der Oper aus… Krenek war nach der Uraufführung mit dem Finale unzufrieden. Er kürzte die letzte Szene, reicherte sie aber musikalisch an.
Zeit und Ort der Handlung
Gegenwart, teils polynesisches Inselreich Migo Migo, teils Romadra, eine europäischen Hauptstadt
Inhalt
Ähnlichkeiten zu anderen Libretti Kreneks ließen sich aufdecken: Treueprüfung, Verwechslung, Verkleidung, Täuschungsmanöver; ein Dichter und Geheimagenten sind auch da. Operettenkomödiantik bis ins Absurde – kein Manko! (Vgl. „Der Sprung über den Schatten“ und „Vertrauenssache“.)
Befreiungskampf im fernen Inselreich Migo Migo. Königin Sardakai will ihren Kontrahenten Urumuru ausschalten. Gar nicht so einfach, denn dieser führt den Krieg gegen sie aus Europa. Dorthin fliegt nun Sardakai, um seiner habhaft zu werden, getarnt als Mrs. Wilson. Der Psychoanalytiker Adriano möge ihr dabei helfen. Wie zu erwarten, bleibt das Urumuru nicht verborgen. Camoufliert als Migi Migo, plant er, ihre imperialistischen Ideen zu konterkarieren. Das erledigt man am besten gleich auf dem Flughafen, wo geeignetes Personal für eine Nebenhandlung eintrifft: der schon erwähnte Adriano; seine Freundin Heloise (deren Treue wäre zu überprüfen, der Impuls dazu tönt aus dem Radio, es ist gerade „Cosí fan tutte“ zu hören); der Dichter Carlo (er will zwar freiheitskämpfend nach Migo Migo, wird aber vor Ort irrtümlich festgenommen, weil er einer missverstandenen Lautsprecheransage folgt); schließlich dessen Freundin Aminta, aus taktischen Gründen Flirts nicht abgeneigt. Unter solchen Prämissen ist der Höhepunkt des für die Beteiligten unbequemen Tohuwabohu bald erreicht. Wer es detailliert entflochten kennen lernen will, vertiefe sich in die Lektüre des Klavierauszuges, es gibt da noch überraschende Turbulenzen. Letztlich reüssiert Sardakai als Schönheitskönigin, Adriano ist ihr Privatsekretär, Urumuru, mittlerweile Herrscher, ernennt Heloise zur Geheimdienstchefin, Carlo und Aminta finden sich als Paar. – Ende gut, alles gut???
Musik
Die Musik ist so flexibel wie der Inhalt. Alles ist auf Duchsichtigkeit und Leichtigkeit angelegt. Eine vorwiegend solistische Besetzung, von Krenek zuvor in Fernsehopern erprobt, kennzeichnet den Bläserklang. Im Schlagzeug ist die Wirkung nicht auf Massierung, sondern auf Verfeinerung und differenzierte Vielseitigkeit ausgerichtet. Insgesamt macht die Partitur den Eindruck eines Mosaiks. Der Rhythmus wird durch Synkopen und Gegenakzente verunsichert. Motivische Bausteine verantworten den gesamten Klangablauf. Das Orchester bildet eine Art Kontrapunkt zu den Gesangsstimmen. Es setzt Akzente, gibt Impulse und artikuliert gleichsam die Satzzeichen zwischen den Zeilen. Die zwöltönig kontrollierte Thematik unterwirft sich nicht prästabilisierenden Regeln. Äußerst differenziert wirken die sieben die Sünden verbindenden Zwischenspiele. …
(Wolfgang Rogge, Programmheft Konzerthaus Berlin 2000)
Resümee
Kreneks ironisches Werk, das die Gattung Oper selbst aufs Korn nimmt, ja sogar von einem Protagonisten „es gibt keine richtigen Opern mehr“ singen lässt, appelliert an das Humorverständnis des Publikums. Anspielungen in Handlung und Musik an Mozarts Così schaffen Bezüge zur jahrhundertealten Operntradition.
Im Spiegel der Presse
Frankfurter Allgemeine Zeitung
26.09.2000, Albrecht Dümling zur Uraufführung der Neufassung
Schon immer liebte er [Krenek] das Spiel mit Redewendungen und Alltagsutensilien, wobei man nicht immer weiß, wann das ironische Spiel in Ernst umschlägt.
Rezensionen zur Uraufführung der Erstfassung an der Hamburgischen Staatsoper
Allgemeine Zeitung Mainz
1.7.1970, Wolf-Eberhard von Lewinski
Kreneks Partitur ist – nicht anders als das eigentlich noch bessere Textbuch – genau durchdacht und farbig gefüllt mit Arabesken eines stützenden Klanges, wie man sie bei neuen Werken der Musikbühne nur sehr selten erfuhr. Da blitzt und klingt ein heller Ton als Basis des Konversationsstils neuer Prägung … Schalk und Witz tauchen in rhythmisch raffinierten, nie plumpen Formulierungen auf. Eine Partitur also von Rang und Niveau. …
Spiegel
29.06.1970
Kreneks Zweiakter … ist in der Tat keine ernste Angelegenheit. Sie bietet, so Krenek „eine freie Auswahl von lächerlichen Gegenständen“, eine „Komödie, die die Gattung der Oper ironisiert“.
Weiterführende Literatur
Claudia Maurer Zenck, Ernst Kreneks „Così“-Rezeption in „Sardakai“, in: CD-Booklet Capriccio 60 129, Frechen 2006, S. 6–8
Rogge, Wolfgang: Von Jonny zu Sardakai, in: Fono Forum, August 1970