Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke

Leben des Orest

Große Oper in fünf Akten (acht Bildern), op. 60 (1928/29)

Text
Ernst Krenek


Verlag / Rechte
Universal Edition
LM / KA UE 9798 / TB UE 9799


Dauer
ca. 120 Minuten


Uraufführung
19. Jänner 1930
Neues Theater Leipzig

D Gustav Brecher
R Walther Brügmann
B Oskar Strnad


Aufführungen
Portland Opera (1975), Landestheater Darmstadt (1961), Hessisches Staats-theater Wiesbaden (1961), Städtische Bühnen Dortmund (1954), Vereinigte Bühnen Graz (ÖEA, 1952), Frankfurter Opernhaus (1951)


Aufzeichnungen
1975, Mitschnitt Portland Opera (unveröffentlicht): D Stefan Minde; Anastasia: Alyce Rogers, Agamemnon: Glade Peterson, Aegisth: Kenneth Riegel, Klytämnestra: Sylvie Anderson, Iphigenie: Barrie Smith, Elektra: Anita Saltra, Orest: Victor Braun u.a.


Besetzung
Agamemnon (T), Klytämnestra (A), Elektra* (S), Iphigenie* (MS), Orest* (Bar), Aegisth, Verwandter Agamemnons (T), Anastasia, Amme der königlichen Kinder (A), Aristobulos, Oberrichter des Bundesgerichtes zu Athen (Bar), Ein Ausrufer (Bar), Ein Hirt (Bar), Thoas, König im Nordland (Bar), Thamar, seine Tochter (S), Zwei Straßenmädchen (2 MS), Drei Älteste des Volkes (3 Bar), Ein Hinkender (stumme Rolle), Kleines Mädchen (stumme Rolle), Vier Straßensänger (2 T, 2 Bar), Ein Diener Aegisths (T), Volk, Krieger Agamemnons, Bewaffnete, Publikum in Athen, Richter, Artisten, Tänzer (Chor) * Klytämnestras Kinder
Chor – 2.3.3.2. – 2.3.2.1 – Timp, Perc – Harm, Banjo, Pft – Str


Themenkreise
Freiheit / Schicksal
Heimat / Fremde
Täter / Opfer


Entstehung     
In seiner Autobiografie verweist Krenek auf einige ihn damals anregende Werke von Strawinsky, Milhaud und Cocteau. Die Oper anreichernde Jazz-Elemente sollten dem klassischen Stoff eine andere Zeitschicht öffnen. – Als Motto schrieb Krenek in die Partitur: „Land im Süden! Land der Sonne! / Zu dir geht meine Sehnsucht, / von dir will ich jetzt singen, / wie meine Sehnsucht mich heißt.“


Zeit und Ort der Handlung    
Griechenland und „Nordland“, vor und nach dem Trojanischen Krieg


Inhalt      
Agamemnon will Griechenland zur Gänze beherrschen, das Volk aber verweigert ihm die weitere Unterstützung. Um für dessen Eroberungspläne das Wohlwollen der Götter zu gewinnen, fordert Aegisth die Opferung von Agamemnons Sohn Orest. Um dies zu verhindern, lässt Klytämnestra Orest nach Phokis bringen. Daraufhin beschließt Agamemnon, seine Tochter Iphigenie opfern zu lassen. Durch ein Wunder wird sie von den Göttern gerettet.
Thoas, König im „Nordland“, sucht mittels eines astrologischen Gerätes ein verheißungsvolles Land im Süden und entdeckt dabei die gerettete Iphigenie auf einem Mondstrahl. Seine Tochter Thamar warnt ihn visionär, nach Welterkenntnis streben zu wollen.
Wir finden Orest und seine Amme Anastasia vergnügt im Athener Jahrmarkttrubel. Er wird zornig, weil reisendes Volk den Krieg verspottet, zerstört mit einer weißen Kugel eine Schießbude und wird von Artisten verschleppt. Anastasia bemächtigt sich dieser Kugel, schenkt sie der Statue der Pallas Athene und bittet die Göttin, Orest zu beschützen.
Agamemnon hat gelernt, dass der Krieg Opfer fordert, was ihn zur Heimkehr bewegt. Inzwischen hat Aegisth die Gunst des Volkes gewonnen und eine Intrige gegen Agamemnon angezettelt. Elektra warnt ihn und überreicht ihm unwissend einen von Aegisth vergifteten Trunk. Ob-wohl Agamemnon die Situation durchschaut, trinkt er und stirbt. Nun beschuldigt Aegisth Elektra am Tod Agamemnons und lässt sie festnehmen.
Immer noch wandert Orest durch Griechenland. Der Gesang eines Hirten bewegt ihn, endlich heimzukehren. Die eingekerkerte Elektra informiert ihn, zur Totenfeier seines Vaters gekommen zu sein. Er rächt sich, indem er Aegisth und seine Mutter Klytämnestra tötet.
Thoas liebt Iphigenie, sie aber sehnt sich nach Griechenland. Der von den Furien getriebene Orest landet in „Nordland“. Thamar nimmt den Ver zweifelten auf. Er findet dort seine Schwester Iphigenie. Alle vier beschließen, nach Griechenland zu reisen.
Orest stellt sich dem Gericht, um vom Fluch des Muttermordes befreit zu werden. Die Richter übertragen die Entscheidung drei weißen und drei schwarzen Kugeln. Ein Kind, das die nun blinde Anastasia begleitet, findet zufällig die einst der Athene geopferte weiße Kugel und wirft sie spielend in die Schale der Entscheidung. Ein Schicksalszeichen: der oberste Richter spricht Orest frei.
 

Musik
Anders als in der griechischen Tragödie, über der ein göttlich verhängtes, zwiespältiges Schicksalsgesetz lastet, begründet Krenek die individuelle Tragik des Geschehens durch die sozialpsychologisch und politisch interpretierte Heimatlosigkeit des Orest. Dem entsprechend bewegt sich Krenek sehr frei in der Disposition des antiken Stoffes. In den satirischen Volksszenen orientiert er sich am Wiener sozialkritischen Volksstück (Johann Nepomuk Nestroy), mit dem er sich wiederholt auseinandersetzte.
Wie in „Jonny spielt“ auf verwendete Krenek ein weitgehend tonal bezogenes Idiom, mit volkstümlichen Elementen aus der Wiener Vorstadtmusik und jazzartigen Passagen, die er parodistisch einsetzt (z. B. in der Jahrmarktszene). Insgesamt ist das Werk als Versuch zu werten, die große Oper des 19. Jahrhunderts zu revitalisieren: mittels heroischer Attitüde, virtuosen Koloraturen, geballter Chromatik, die wiederholt in die Tonalitätsfreiheit ausschert. Diese Fülle heterogener Materialien und Techniken bedingt einen Verzicht auf Geschlossenheit zugunsten einer Tonsprache, die laut Krenek der Charakteristik der Situation folgt und den Spielcharakter dramatischer Vorgänge hervorheben soll.    
Aus: Barbara Zuber, Leben des Orest


Resümee   
Leben des Orest ist keine klassische Version des antiken Mythos, sondern vielmehr eine Geschichte des Lebens des Orest, die mit ihren psychologisierenden Aspekten viel Spielraum für die Inszenierung gibt.

 


Im Spiegel der Presse

Allgemeine Zeitung, Mainz
28.2.1961, Albert Rodemann zur Aufführung am Wiesbadner Staatstheater
[…] Kreneks Oper ist und bleibt ein Dokument der Kulturgeschichte vom Ende der „glücklichen zwanziger Jahre“.
Als solches hat sie ihren unverrückbaren Platz in der Geschichte der Oper. […]

Rheinische Musik- und Theater-Zeitung
25.1.1930, Nr. 2, Ernst Latzko zur Uraufführung in Leipzig
[…] Der Autor entnimmt dem bekannten Stoff nur die Idee eines von seinem Schicksal durch die Welt gehetzten Menschen und die Situationen, die zur Durchführung dieser Idee notwendig sind. Alles Übrige – die Symbolik des Stoffes, religiöse Motive, psychologische Hintergründe – wird nur angedeutet, so daß sich die Aufmerksamkeit auf die reichbewegte Handlung und ihre Träger konzentriert. […]

 

Weiterführende Literatur

Nils Grosch, Zeitoper, Stilpluralismus und Episches Theater in Ernst Kreneks „Leben des Orest“, in: „Der zauber-hafte, aber schwierige Beruf des Opern-schreibens“. Das Musiktheater Ernst Kreneks, Claudia Maurer Zenck (Hg.), Ernst Krenek Studien Bd. 2, Petra Preinfalk für die Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung (Hg.), Edition Argus, Schliengen 2006, S. 77–112

Konstanze Rohm, „Jederzeit zu allem bereit“: Zur musikalischen Dramaturgie in Ernst Kreneks Oper „Leben des Orest“, in: Nils Grosch (Hg.), Aspekte des modernen Musiktheaters in der Weimarer Republik, Waxmann Verlag, Münster 2004, S. 208–224

Juliane Vogel, Gerettete Atriden. Zu Ernst Kreneks „Das Leben des Orest“, in: Antike Mythen im Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Gesammelte Vorträge des Salzburger Symposions 1989, Peter Csobádi, Gernot Gruber (Hg.), Verlag Ursula Müller-Speiser, Anif/Salz-burg 1990, S. 281–297

Barbara Zuber, Leben des Orest, in Carl Dahlhaus (Hg.), Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 3, Artikel Ernst Krenek, Piper Verlag, München 1988, S. 327–341

Ernst Krenek, Leben des Orest. Lebendige Oper, in: Anbruch, 21:1 (Jänner 1930), S. 1– 4

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