Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke
Dark Waters / Dunkle Wasser
Oper in einem Akt, op. 125 (1950)
Text
Ernst Krenek (englisch, deutsch)
(Anregung: Herman Melvilles Erzählung "The Confidence Man")
Verlag / Rechte
Bärenreiter
LM BA 4300
Dauer
55 Minuten
Uraufführung
Gekürzte Fassung:
2. Mai 1951 Los Angeles, University of Southern California, Bovard Auditorium, (Forth Annual USC Festival of Contemporary Arts)
D Wolfgang Martin
R Carl Ebert
Ungekürzte Fassung:
August 1954 Darmstadt, Kranichsteiner Musikinstitut (Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik)
D Ernst Krenek
R Harro Dicks
Aufführungen
Mozarteum Salzburg (Klavierfassung, 2011), Konzerthaus Berlin (2010 Krenek-Schwerpunkt „Zwischen den Welten“, 2008), Gustav Mahlersaal der Wiener Staatsoper (2002, konzertant), Neue Studiobühne Wien (2000), Saarbrücken (1962)
Aufzeichnungen
keine
Besetzung
Claire (A)
Joe (Bar)
Phil (T)
Mädchen (S)
Zwei Gangster (B, T), Tom (B)
1.1.1.1 - 2.1.1.0 - Perc - Pft – Str
Themenkreise
Des Schicksals blindes Walten, Suche nach existentieller Sicherheit
Entstehung
Die Oper, 1949 von Dimitri Mitropoulus in Auftrag gegeben und als Fernseh-Oper gedacht, wurde von den TV-Stationen abgelehnt und - in vollständiger Länge - erst bei den Darmstädter Ferienkursen 1954 uraufgeführt. Krenek bezog sich auf Herman Melvilles Erzählung „The Confidence Man“. Er beschreibt die Oper als ein „Revolverstück, das mit den wohlbekannten Elementen des Wildwest-Dramas operiert: die klischeehaften Gangster, der dumme Polizist, die konventionelle Liebesgeschichte, der brave, aber schwache Held, der unversehens in Schuld verwickelt wird, und der unvermeidliche Sieg der Gerechtigkeit. … Was mich aber gereizt hat, war, die einfachen und echten Gefühlsgehalte …durchscheinen zu lassen. … Um das herauszufinden, ließ ich mir die Gestalt des rätselhaften Mädchens einfallen. Jeder, der ihr begegnet, nimmt sie für etwas anderes, für das, was er in ihr sehen will. … Was ist aber wirklich ‚wirklich‘? Vielleicht nichts als die dunklen Wasser, auf denen wir hinfahren. … In dieser Stimmung wurde das Stück 1950 geschrieben.“ (E. Krenek zur Aufführung bei den Darmstädter Ferienkursen 1954)
Zeit und Ort der Handlung
Gegenwart, irgendwo im Südwesten der Vereinigten Staaten
Inhalt
Joe ist Kapitän eines Lastkahns, auf dem er mit seiner Frau Claire und seinem Sohn Phil lebt. Er sehnt sich nach einem besseren Leben und nimmt entgegen den Warnungen seiner Frau das Angebot zweier Gangster an, einen Beutel mit Diamanten zu schmuggeln. Von einer Brücke springt – wie vom Himmel gefallen - ein Mädchen auf den Kahn. Claire erblickt in der Unbekannten das erhoffte Wunder, Phil verliebt sich in sie und will ein neues, ehrliches Leben beginnen, Joe behält sie als Mitwisserin auf dem Boot, verdächtigt sie, einen Diamanten gestohlen zu haben und erschießt sie, als Phil das Boot auf den freien Ozean lenkt, um den Gangstern zu entfliehen. Als diese wieder an Bord kommen, berichten sie, dass die Tochter ihres Bosses gesucht wird und eine Belohnung für ihre Rückkehr ausgesetzt ist, und erklären, die Diamanten seien nur Attrappen - eine Probe von Joes Verlässlichkeit für den geplanten Schmuggel. Die Polizei naht…
Musik
Die Musik bewegt sich irgendwo zwischen What Price Confidence und The Bell Tower. Es gibt mehr strukturellen Kontrast als bei den beiden anderen Opern. Arie und Duett unterscheiden sich im Stil von „Handlungs-Musik“, einzelne Passagen haben den Charakter von Barcarole, Marsch oder liturgischem Gesang. Die melodramatische Geschichte erhält einen Hauch von Leichtigkeit.
(nach Richard Wilson, Krenek and Melville)
Im Spiegel der Presse
Zur Aufführung anlässlich der Darmstädter Ferienkurse August 1954
Die Welt
31.8.1954, Heinz Joachim
… in der Sparsamkeit der Mittel, der Prägnanz der Zeichnung… und der Originalität der Erfindung erkennt man auch auf kleinstem Raum… den sicheren Griff des erfahrenen Bühnenpraktikers. Dem entspricht auch die Schlagkraft und Plastik der musikalischen Sprache, die, gleich weit entfernt von doktrinärer Enge und naturalistischer Ungeniertheit, die Alltagsprosa der Handlung zu gebundener Rede stilisiert.
Der Tagesspiegel
1.9.1954, Werner Oehlmann
Der Reiz des Werkes liegt darin, dass Krenek dazu keine ironisch leichtfertige, sondern eine tiefernste Musik geschrieben hat … eine kammermusikalisch feine Partitur voller Tristan- und Schönberg-Klänge, die dem Reißer die Würde des Musikdramas geben möchte. …ein symbolisches von Kafka und Sartre inspiriertes Spiel von der Schicksalsgebundenheit der Menschen.
Zu den Aufführungen im Berliner Konzerthaus 2008 und 2010
Berliner Zeitung
22.9.2008, Peter Uehling
Kreneks Musik sucht nach einer emotionalen Wahrheit, sie will die Geschehnisse weder satirisch bekritteln, indem sie durch große Operngesten die Banalität der Handlung grell beleuchtet, noch will sie sich in tüfteliger Eigenständigkeit einschließen. Die tonsprachlichen Mittel zwischen Leitmotiv und Rezitativ, die Krenek findet, sind in ihrer Geläufigkeit und Unbestimmtheit … auch Ausdruck der Bodenlosigkeit der Figuren auf dem Schiff.
Neue Musikzeitung
27.2.2010, Peter P. Pachl
… ein bei aller apostrophierten Düsterkeit sinnenfrohes, sinnlich changierendes Musiktheater. … Fern aller Satire stattet Krenek die Personen mit Leitmotiven aus, die sich handlungsgemäß wandeln, wie das eröffnende Barcarole-Thema. Marsch, Sarabande und ein rein gesprochener Dialog sind ebenso integriert wie sinnliche Duette. Das namenlose Mädchen spannt dabei musikalisch den Bogen von Wagners „Tristan“ über Zemlinskys „Seejungfrau“ und Schrekers „Christophorus“ zur Übersinnlichkeit in Brittens „The Turn of the Screw“.
Weiterführende Literatur
Richard Wilson, Krenek and Melville. Three American Operas, in: “Der zauberhafte, aber schwierige Beruf des Opernschreibens”. Das Musiktheater Ernst Kreneks, Claudia Maurer Zenck (Hg.), Edition Argus, Schliengen 2006, S. 193-200
John L. Stewart, Ernst Krenek. Eine kritische Biographie, Verlag Hans Schneider, Tutzing, 1990, S. 380f
Ernst Krenek, Das musikdramatische Werk – Band 2, Österreichische Verlagsanstalt, Wien 1975 (Libretto)
Ernst Krenek, Soll die Oper einen Sinn haben?, in: Gustav Rudolf Sellner, Egon Vietta (Hg.), Das Neue Forum, 1:2 (1951), S. 31-32