Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke

Ausgerechnet und verspielt

Eine „Spiel“-Oper in zwölf Szenen, op. 179 (1961)

Text
Ernst Krenek


Verlag / Rechte
Bärenreiter
LM


Dauer
80 Minuten


Ursendung
25. Juli 1962 ORF-Fernsehen, Wien

D Ernst Krenek
R Hermann Lanske
B Fritz Wotruba


Uraufführung (szenisch)
2. Oktober 1990 Städtische Bühnen Bielefeld

D David de Villiers
R John Dew
B Gottfried Pilz


Sendungen
TV-Sternstunden im ORF / KulturCafe (2003), WDR (1963)


Aufzeichnungen
1962, ORF, VHS (unveröffentlicht): D Ernst Krenek, R Hermann Lanske, B Fritz Wotruba; Markus: Paul Schöffler, Ginette: Veronika Kusmin, Fernando: Paul Späni, Lucile: Mary Richards, Geraldine: Elisabeth Höngen, Hamilton: Max Hechenleiter u.a.


Besetzung
Markus, Spielkasino-Besitzer (Bar), Ginette, seine Tochter (S), Fernando, ein Mathematiker (T), Lucile, seine Freundin (MS), Geraldine, Pfandleiherin (A), Hamilton, ein Computer-Ingenieur (Bar), Bürochef in der Flugzeugfabrik (Bar), Marcel, ein Croupier (Sprechrolle), zwei Fernseh-Operateure (T und B), Stimme der Sestina (MS), Chor: Publikum im Kasino
1.1.1.0 – 0.1.1.0 – Perc (5) – Git, Hfe, Cemb, 2 Pft, Harm, Cel – Str, Tonb


Themenkreise
Glücksspiel
Wissenschaftskritik / Selbstironie
Computer- und Raumfahrtzeitalter


Entstehung
Ernst Krenek komponierte "Ausgerechnet und verspielt" 1961 im Auftrag des ORF, der das Werk als Fernsehoper zur Uraufführung brachte. Die Komposition ist auch als „Zeitoper“ zu verstehen, in die der damalige wissenschaftliche und philosophische Diskurs Eingang fand. 1990 schließlich wurde die Oper erstmals für die Bühne entdeckt.


Zeit und Ort der Handlung
Gegenwart


Inhalt
Mit Computerhilfe glaubt der Flugzeugkonstrukteur Fernando, den Lauf der Roulettekugel vorausberechnen zu können. Ihm fehlt aber das Geld für den Erwerb eines geeigneten Gerätes. Seine Freundin Lucile fürchtet, die Leidenschaft für die Technik sei ihm wichtiger als die Liebe.
Ginette, die Tochter des reichen Kasinobesitzers Markus, und Lucile benützen zufällig denselben Zug, in welchem Ginette gerade ein teures Schmuckstück verloren hat, ein Geschenk ihres Vaters. Wieder ist es der Zufall, der Lucile den Schmuck finden lässt. Sie versetzt ihn im Pfandhaus des Kasinos.
Der Computerfachmann Hamilton enttäuscht Fernandos Hoffnungen, das Roulettespiel sei voraussagbar. Denn die Maschinen führen mittlerweile eine Art unvorhersehbares Eigenleben, eine – Kappa Omikron – habe aus Langeweile sogar elektronische Musik komponiert. Dennoch kauft Fernando den begehrten Computer mittels des Geldes von Lucile, das sie für den Schmuck erhalten hatte.
Indessen verdächtigt Markus seine Tochter Ginette, selbst den Schmuck im Pfandleihhaus versetzt zu haben, um sich ein Flugzeug zu gönnen. Er entdeckt ihn im Pfandhaus und löst ihn selbst wieder aus. Im Kasino setzt Fernando auf die vom Computer vorausberechneten Zahlen und verliert alles. Hamilton überlässt ihm nun zum Trost die Zahlenreihe von Kappa Omikrons Musikstück (es ist die der Oper zugrunde liegende Zwölftonreihe).
Das animiert Ginette, Fernando Geld zu leihen, und auf einmal gewinnt er noch und noch.
Jetzt will Lucile mit Fernandos Geld das Schmuckstück zurückhaben, doch es ist weg. Man schickt sie zum neuen Käufer: Kasinobesitzer Markus.
Dieser klärt die Lage, der Partnertausch ist unaufhaltsam. Markus schenkt Lucile den Schmuck und bekundet seine Liebe zu ihr. Fernando hat zwar massenhaft Geld gewonnen, aber Lucile verloren. Er darf sich jedoch mit Ginette trösten, der er das ersehnte Flugzeug zu schenken verspricht. 


Musik
[ …] Die teils seriell komponierte Musik […] ist Kreneks pointierte, skeptische Antwort auf die Wissenschafts- und Fortschrittseuphorie.
Ganz Kind seiner Zeit, hat sich Krenek mit den avanciertesten wissenschaftlichen und musikalischen Konzepten beschäftigt, lässt diese in sein Werk ein fließen, ja macht sie zum eigentlichen Thema: […] die streng durchorganisierte Musik wird für ihn zu einem „Spiegelbild der Undurchschaubarkeit des Lebensprozesses“. Ein musikalisches Glasperlenspiel von hohen Graden, in dem Krenek ironisch Themen wie „elektronische“ und „serielle Musik“ behandelt und als älterer Komponist der gerade neuesten musikalischen Avantgarde […] mit entwaffnendem Humor begegnet.  
Aus: Thomas Mense, Ernst Krenek. Ausgerechnet und verspielt


Resümee
"Ausgerechnet und verspielt" erzielte sowohl durch seine Aufführung als Fernsehoper, als auch durch die szenische Umsetzung große Aufmerksamkeit. Die enge, humorvolle Verbindung der Geschichte mit der zugrundeliegenden Kompositionstechnik ist spürbar und beflügelt die Rezeption

 


Im Spiegel der Presse

Rezensionen zur szenischen Uraufführung am Bielefelder Theater
Kölner Stadtanzeiger 31.10.1990, Michael Struck-Schloen
Spielerische Leichtigkeit, sprachliche Eleganz und der entzückende Boulevard-Esprit des alltäglichen Spiels um Liebe und Zufall bestimmen dieses Kabinettstückchen musikalischen Humors.


Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.11.1990, Frieder Reininghaus
[…] Mit Ausgerechnet und verspielt brachte der Zufall, der die quasi-wissenschaftliche Vorausbestimmung eines künstlerischen Vorgangs ad absurdum führt, sich in Erinnerung als ein Faktor, den die einen gerne durch Berechnung erledigt hätten, der die anderen aber unterhält und bereichert.


Süddeutsche Zeitung 9.11.1990, Heinz-Harald Löhlein 
Um die gedrängte revolutionsmystische Tragödie abendfüllend aufzustocken, war ein Satyrspiel willkommen [zusätzlich zu Die Zwingburg]: Kreneks Fernsehoper Ausgerechnet und verspielt, zeit- und kollegenkritische Humoreske über Zufall und Logik in Lehre und Leben, Reflexionen über „Rotation“ in Welt und Kunst.

Österreichische Musikzeitschrift 1/2 1991, Edwin Baumgartner
[…] eine Komödie von intellektueller Brillanz. […] Ob serielle Musik lustig wirken kann, ob sie zur Komödie taugt, wird von der Vertonung mit einem anfangs zögernden, im Verlauf der Oper aber immer deutlicheren Ja beantwortet. Kreneks fragile Musik folgt entweder den Regeln viel freier, als sie vorgibt. Oder der Zufall hat auch da mitgespielt und die Pointen an die genau richtigen Stellen gesetzt.


Opernfreund Wien 1962, Franz Willnauer zur Ursendung im ORF
Ihr [der Oper] liegt das gedankliche Problem der „seriellen“ Musik zugrunde: das dialektische Wechselspiel zwischen streng errechneter Ordnung und unvorhersehbarem Zufall, zwischen (analytisch nachprüfbarer) sinnvoller Konstruktion und klingendem Chaos.





Weiterführende Literatur

Sara Beimdieke, Das Rad der Welt dreht rätselhafter Zufall – Ernst Kreneks Fernsehoper „Ausgerechnet und Verspielt“ op. 179, Diss., betreut von: Matthias Henke, Historische Musikwissenschaft, Universität Siegen

Thomas Mense, Ernst Krenek. Ausgerechnet und verspielt, in: Heiner Bruns (Hg.), Entartet. Verdrängt. Vergessen. Bielefelds Oper erhebt Einspruch. 1980–1993, Westfalen Verlag, Bielefeld 1993, S. 70–74

Ernst Krenek, Ausgerechnet, aber sehr verspielt, in: Ernst Krenek, Im Zweifelsfalle. Aufsätze zur Musik, Europaverlag, Wien 1984, S. 66–72

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